Captain Numan, Bruchpilot


Gary Numan macht Schlagzeilen. Nicht etwa mit Musik. Seine aeronautischen Ambitionen sind es, die den 23jährigen Hobby-Piloten wieder ins Gerede bringen. Auf einem mehrwöchigen Flug rund um die Erde geriet Numan in unerwartete Turbulenzen: In Indien verirrte er sich in militärisches Sperrgebiet und wurde verhaftet in Grönland mußte er gar in Schnee und Eis notlanden...

Mit Musik hat Gary Numan mittlerweile herzlich wenig im Sinn. „Musik“, so sagte er bei seinem kürzlichen Zwischenstop in Hamburg, ist für mich nur noch ein Hobby, ein Spiel wie eine Partie Monopoly. Ich habe keine ernsthaften künstlerischen Ambitionen. Was Kritiker von mir halten, ist mir daher auch scheißegal. I just like the money.“

Entgegen allen Unkenrufen wirkt Numan privat keineswegs neurotisch und verklemmt, sondern ist von geradezu bestürzender Offenheit. „Vielleicht“, so meint er auch selbst, „war es ein Fehler, daß ich früher mit einem so verhärmten Gesicht rumgelaufen bin. Aber ein Komiker bin ich nun mal nicht.“

Die Arroganz, die aus seinen (gedruckten) Interviews zu sprechen scheint, ist im Gespräch einfach nicht festzustellen. Numan ist offen und gesprächsbereit, manchmal allerdings – so scheint es – nimmt er den Mund doch ein wenig zu voll.“ Über das Fliegen spreche ich gerne, weniger gern über Musik. Ich nehme die ganze Sache micht mehr so ernst. Früher hob‘ ich immer noch krampfhaft versucht, meinen Gesprächspartnern entgegenzukommen. Heute scheiß ich darauf. Ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich es einfach nicht mehr nötig habe. Ich pfeif auf den Ruhm und das Geld brauch ich auch nicht, weil ich genug davon habe. Ich bin eigentlich in einer verdammt guten Ausgangsposition.“

Mit seinen 23 Jahren ist Gary Numan heute Besitzer mehrerer Flugzeuge, er hat einen Lufttaxi-Service aufgebaut, ein Restaurant gekauft, besitzt Studio und Plattenfirma, gründet zur Zeit eine Video-Firma, arbeitet an mehreren Filmdrehbüchern, produziert andere Musiker, komponiert die Musik zu einer Neuverfilmung von „Flash Gordon“, dreht auf seinem Flug um die Erde einen Dokumentarfilm für die BBC und will seine Erlebnisse auch zu einem Buch verarbeiten. Außerdem stehen natürlich die Aufnahmen zu seinem nächsten Album auf dem Programm.

„Die Situation gefällt mir. Du kannst so vielen Interessen nachgehen. Es ist ein in sich geschlossener Kreis verschiedener Geschäftsinteressen. Falls die eine Firma pleite macht, wird sie von der anderen aufgefangen. Irgendwann werde ich in der Lage sein, ganz aus dem Musikgeschäft auszusteigen, wenn es mir gerade Spaß macht!“

Wie erklärt er sich, frage ich ihn, seine offensichtliche Neigung, sich in so vielen Interessen aufzusplitten – anstatt sich auf einige wenige zu konzentrieren?

„Ich kann mich einfach nicht lange mit einer Sache beschäftigen. Keine Hingabe, kein Engagement. Ich fasse viele Dinge an, aber nur kurz und schnell, weil sie wir im Nu wieder zum Hals raushängen. Ich höre manchmal mittendrin auf- und wenn ich einm al den Faden verloren habe, fällt es mir unsäglich schwer, eine zweiten Anlauf zu nehmen. Etwas Neues anzufangen, bedeutet mir mehr,als eine Sache bis ans Ende durchzuziehen.

Das ist in meinem ganzen Leben so gewesen. Ich wollte imm er alles so schnell wie m öglich hinter mich bringen. Beispielsweise die Musik: Ich habe in so kurzer Zeit vo viel erreicht, daß es mir völlig schnurz ist, ob ich noch weiter Musik mache oder nicht. Ich weiß auch nicht, warum das so ist. Manchmal denke ich mir, daß es mich nicht mehr lange auf dieser Welt geben wird.

Die einzige Ausnahme ist das Fliegen. Das fasziniert mich nach wie vor. Aber selbst beim Fliegen frageich mich, ob es mir nun wichtiger ist, daß ich fliegen kann – oder ob es das Fliegen selbst ist?Manchmal bin ich guter Laune und denke mir: ‚Ha, du kannst die Dinger fliegen‘ steige aber deswegen noch lange nicht ein und fliege sie.“

Das Flugzeug scheint für dich die Funktion übernommen zu haben, die früher einmal Autos hatten: Geschwindigkeit und Isolation.

„Autos sind für mich wie ein fahrbares Haus. Wie ein Panzer, der mich sicher von einem Punkt zum anderen bringt. Ich kann es von innen abschließen und fühle mich darin sicher. Keiner kann an mich heran. Je schneller der Wagen, desto besser kannst du Problemen aus dem Weg gehen. Fast alles, was außerhalb meines Hauses passiert, ist für mich ein potentielles Problem. Ich habe es nie gelernt, mich entspannt in der Öffentlichkeit zu bewegen. Ich bemühe mich auch erst gar nicht. Stell dir vor, du kommst in ein Restaurant oder in einem Club und möchtest nur ruhig in deiner Ecke sitzen. Und plötzlich kommt es über den Lautsprecher: ‚Wir haben gerade erfahren, daß wir heute abend einen Prominenten bei uns begrüßen dürfen … ‚ Grauenhaft. Du kannst dann auch nicht einfach aufstehen und weglaufen Wenn ich im Flugzeug sitze, brauche ich mir darüber keine Gedanken zu machen.“ Deine Isolation und Kommunikationsangst scheint sich, wenn ich das richtig sehe, auch in deinen Texten niederzuschlagen, die ja nun für einen Außenstehenden doch reichlich kryptisch sind … “ Wenn ich sie schreibe, weiß ich ganz genau, worüber ich spreche. Für mich sind sie völlig eindeutig, Ich kann es einlach nicht glauben, daß Außenstehende Probleme haben, den Inhalt zu verstehen.“

Aber hast du nicht einmal in einem Interview hinsichtlich deiner Songs gesagt, du möchtest „Stimulation instead of instruction“ also einen Reiz auslösen und nicht konkrete Belehrungen geben?

„Wenn Popstars meinen, ihre Hörer müßten ihr Weltbild übernehmen, sind sie gottverdammte Idioten. Unsere Meinungen sind wahrscheinlich weniger wert als die eines durchschnittlichen Hörers, weil unsere Perspektiven mit der Realität herzlich wenig zu tun haben. Wir sehen die Dinge nicht mehr wie sie sind, sondern wie sie für uns gekauft werden. Ruhm und Reichtum. Es ist daher wichtig, daß man als Star von vorneherein keinen Zweifel daran läßt, daß unsere privaten Meinungen nichts als Dreck sind.“

Ist es nie eine Versuchung gewesen, diese Position auszunutzen und die Zuhörer zu manipulieren?

„Nicht für mich. Vielleicht bin ich dafür zu … sensibel. Ich käme mir lächerlich dabei vor. OK, wir haben unsere kleinen Spielchen. Ich behaupte ja auch nicht, wir würden Texte schreiben, ohne zu wissen, welche Wirkung sie haben könnten. Natürlich wissen wir das, ich jedenfalls.

Auf dem neuen AIbum DANCE ist beispielsweise ein Song über die „New Romantics“, genauer gesagt über Steve Strange. Wenn du es wagst, dich in einem Song über sie lustig zu machen, kannst du sicher sein, daß du Briefe bekommst wie: ‚Was hast du bloß gegen die NewRomantics?‘ Eine Menge deiner Fans, die sich bisher ebenso gekleidet haben, werden sich plötzlich nicht mehr so kleiden. Und eine Menge deiner Fans werden plötzlich nicht mehrdeine Fans sein. Eine kleine Zeile in einem Song kann da ungeheure Auswirkungen haben.“

Daß gerade du dich über die New Romantics mokierst, hat mich überhaupt gewundert. Du legst doch auf ein gestyltes Äußers auch offensichtlich viel Wert.

„Das tut Bryan Ferry auch, und er gehört bestimmt nicht zu den New Romantics. Sich elegant anzuziehen, heißt nicht unbedingt, daß man stylish ist. Ich mag übrigens die New Romantics – Duran Duran, Depeche Mode, das sind witzige Bands. Nur Steve Strange kann ich nicht ausstehen.“

Weiche Kritiken oder Angriffe haben dich denn im Lauf der Jahre am meisten getroffen: „Gar keine. Ich verdiene zuviel Geld, als daß ich davon getrollen werden könnte. Stell dir folgende Situation vor: da sitzt irgendwo ein verklemmter Schreiberling und spritzt Gift und Galle gegen dich. Am gleichen Morgen aber liegt ein Scheck über 100 000 Pfund in deinem Briefkasten. Wer lacht da am längsten? Man kann Kritik überhaupt nicht ernstnehmen, wenn man erfolgreich ist. Wäre ich es nicht, würde ich mir schon Gedanken machen. Aber wenn ich sehe, welche Unmengen Geld auf meinem Bankkonto eingehen, können die Kritker mir gestohlen bleiben.“

Aber selbst erfolgreiche Musiker sind doch oft genug zu Tode gekränkt, wenn sie sich mißverstanden fühlen.

Ja, aber nur deswegen, weil sie ‚künstlerische Glaubwürdigkeit‘ für sich in Anspruch nehmen. Ich scheiß darauf. Mich interessiert nur das Geld.“

Es muß dir aber doch Spaß mähen, wenn du feststellst, daß eine Platte dir besser gelungen ist als die vorherige?

„Klar, weil Musik mein Hobby ist. Es ist für mich ein Hobby so wie Modellflugzeuge-Bauen für mich ein Hobby ist. Die Tatsache, daß man damit viele Platten verkaufen und Geld verdienen kann, ist der Sahnetupfer obendrauf. Die Tatsache, daß ich mir mit meinem Hobby ein schönes Leben machen kann, macht mich auch wirklich glücklich. „

Wie sieht es mit Tourneen aus? Wird es überhaupt noch einmal Gary Numan live geben?

„Ich habe einfach nicht die Zeit dazu. Ich will nun mal alles auf einmal machen. Zwei Jahre lang war ich auf Tournee, im April dieses Jahres hatte ich endgültig die Nase voll. Ich will nicht mehr. Es hat durchaus Spaß gemacht, raubt mir aber zuviel Zeit. Du brauchst 10 bis 11 Monate im Jahr, um eine Welttournee vorzubereiten und durchzuführen.“

Wirst du etwas vermissen?

„Überhaupt nicht. Man kann die ganzen Begleitumstände der Tourneen einfach nicht ernst nehmen.“

Ich kann mich erinnern, einmal in einem Review eines deiner Konzerte gelesen zu haben, daß du dich krampfhaft bemühen würdest, ein perfekter Entertainer zu sein – daß aber die makellose Oberfläche immer wieder Risse bekäme, unter denen sich ein unsicheres und sehr menschliches Wesen zeige.

„Kannst du dich an die Zeit erinnern, als du ein Kind warst und ‚Cowboy und Indianer‘ spieltest? Wie du dich verkleidet hast und deinem Gefangenen deinen Spielzeugpistole an die Schläfe gesetzt hast? Genau das gleiche Gefühl hatte ich, wenn ich auf die Bühne ging. Wenn ich eine Handbewegung machte, schrien plötzlich Tausende von Leuten. Es war, als hätte man eine ganze Welt in seinen Händen. Ich ging auf die Bühne und hatte das Gefühl, zurück in meine Kindheit zu gehen und alles noch einmal zu erleben.“

Passierte es denn nie, daß diese Illusion Risse bekam?

„Natürlich gibt es Brüche. Ohne die geht es einfach nicht. Manchmal ist es eine Person im Publikum, die dir die Illusion raubt. Es ist wie bei ‚Cowboy und Indianer, wenn dich deine Mutter plötzlich zum Abendessen ruft. Plötzlich bist du kein Cowboy mehr. Und wenn dir das auf der Bühne passiert, fühlst du dich natürlich nackt und deplaciert und mußt kämpfen, um diese Unsicherheit zu überspielen.

Ich bin im Grunde schüchtern und unsicher. Als ich in der Schule war, haben sie mich aus dem Schauspielkursus gefeuert. Ich sollte in einem Stück einen Mann spielen, der in der Wüste verdurstet und mit letzter Kralt und verdorrter Kehle das Wort ‚Wasser‘ röchelt. Ich schaffte es einfach nicht -und fand mich trotzdem einige Jahre später auf der Bühne wieder.“

Die Interview-Cassette ist inzwischen abgelaufen, wir unterhalten uns noch eine Weile über eher private Dinge. Als ich frage, wer sein bevorzugter Filmschauspieler, beziehungsweise sein Vorbild sei, grinst er verlegen. Nach einigen Sekunden rafft er sich auf und gesteht etwas kleinlaut: „Clint Eastwood“.