Kollegah und die Freetyper: Die Ghostwriter des Selfmade-Rappers


Kollegah und seine Texte: Die Komplexität und „lyrische“ Qualität der Verse des Rappers wird immer wieder als Alleinstellungsmerkmal genannt. Dies sind aber auch Aspekte, durch die Zweifel an ihrer Entstehung aufkommen.

Kollegah, sagen manche immer wieder, soll seine Texte nicht alle selbst geschrieben haben. Der Vorwurf und auch der Spin, dass er Punchlines von sogenannten Freetypern – also von Personen, die ihre eigenen Raptexte schriftlich miteinander teilen, ohne sie notwendigerweise musikalisch umsetzen zu wollen – in Rap-Foren kopiert habe, sind älter.  Im April 2022 hat die YouTuberin Alicia Joe der Thematik ein Video gewidmet, das eine Welle der Aufmerksamkeit mit sich brachte. Neu ist, dass einer dieser Freetyper in einem mehrstündigen Interview detailliert Fragen über seine Arbeit für Kollegah und dessen Umgang mit fremdem Material beantwortet und dabei die Einschätzung geteilt hat, dies betreffe zwischen 30 und 50 Prozent der Zeilen des Düsseldorfers.

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Am 18. März veröffentlichte Marvin California, Deutschrap-Content-Creator und seines Zeichens großer Kollegah-Fan, ein Interview mit Robbie Banks. Banks ist einer dieser Freetyper, der seine Vergangenheit mit Kollegah vergangenes Jahr auch in einem Diss verarbeitete.

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Das Interview und die Vorwürfe

In einer weitestgehend vergangenen Ära des deutschen HipHops, um das Jahr 2008, sei Kollegah mit ihm über das Forum MZEE in Kontakt getreten. Der eine junger Rap-Fan, der andere ein etablierter Rapper mit eigenem Forum-Hintergrund. Ein Szene-Primus, der sich aus dem Internet in die Industrie gearbeitet hatte.

Kollegah schrieb ihm, so die Aussage, ein Kompliment für seine Texte und die Frage, ob er einige Lines des Osnabrückers benutzen dürfe. Aus der anfänglichen Verwendung bereits existierenden Materials habe sich im Laufe der Jahre dann ein fester Ghostwriting-Job entwickelt. Aus heutiger Sicht eher unverfänglich, damals absolut verpönt. Und wäre es Kollegah nicht immer wieder wichtig gewesen zu betonen, dass er alle seine Texte komplett selber schreibe, maximal ein paar Zeilen gemeinsam mit anderen entstanden oder eventuell auch von anderen übernommen sind (so die Chronologie), wäre das Potential für einen Imageschaden auch sicher nicht so groß.  Aber ein bisschen größer ist die Geschichte eben doch. Auch, weil die Sachlage zumindest überprüfbar ist.

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Auf der Webseite Genius habe daher einige Freetyper kürzlich begonnen, Dopplungen zwischen Forenbeiträgen und Textzeilen auf Kollegah-Alben zu dokumentieren. Gesammelt sind bisher (Stand 23.03. 23) etwa 490 Textpassagen. Eine mindestens leichte Skepsis erregende Menge an Übereinstimmung zwischen den Gedanken einer, wenn auch talentierten, Einzelperson und der kreativen Energie Dutzender.

Im Interview legt Banks weiter offen, dass der selbsternannte Boss auch auf eine Reihe anderer Forum-User zugegangen sei. Neben explizitem Ghostwriting durch diese und dem kreativen Austausch in Gruppen und eventuell auch persönlich, was immerhin Zustimmung zur Verwendung des eigenen Materials durch jemand anderen impliziert, habe er sich aber bis mindestens auf sein vorletztes Album ZUHÄLTERTAPE, VOL. 5 auch an öffentlichen Beiträgen bedient. Für Banks sei das nachvollziehbar, da es sich um einige seiner eigenen handelte, gepostet über alternative Accounts. Er habe außerdem nie Geld für seine Beiträge gesehen – dafür aber die komplette Kollegah-Diskografie (ungefähr des Jahres 2014) auf CD geschenkt bekommen.

Eine ganze Menge Lines

Was zum eigentlichen Dilemma führt, ist der Umfang dieser Diskographie (früher und heute) von Battlerunden und Singles über die Zuhälter- und Hoodtape-Reihen zu zehn Soloalben und den JUNG BRUTAL GUTAUSSEHEND-Platten mit Farid Bang. Wie soll ein Einzelner das bewältigen? Noch dazu in einer Art die, neben den in den letzten fünf Jahren neuen Ausmaßen des „Alpha“-Gedankens – inklusive Denkt-selber-Floskeln, überteuerter Männlichkeits-Coachings und faschistoider Ästhetik – weiter Leute mit dem alten Image überzeugen kann?

Eben: nicht allein. Um den Mythos Felix – falscher Zweitname Antoine – Blume aufrechtzuerhalten, brauchte Kollegah offenbar Hilfe. Und das in einer Größenordnung, die Robbie Banks zufolge, annähernd die Hälfte des Ouevres ausmachen könnte, das aus dem übertriebenen Mafia-Gangster-Zuhälter-Image ein derartiges Faszinosum gemacht hat. Nichtdestotrotz betont Robbie Banks, dass Kollegah ein extrem guter Texter sei. Die dokumentierten Dopplungen treffen sich häufig auch nicht Wort für Wort, dafür aber in Ideen und Reimen.

FREE SPIRIT, das aktuelle Album des 38-Jährigen, erschien im August 2022. Es umfasst 25 Tracks und eine Laufzeit von anderthalb Stunden. 2021 kam das fünfte ZUHÄLTERTAPE – 37 Tracks, zweieinhalb Stunden lang. Zu den Vorwürfen hat Kollegah sich nicht geäußert. Er veröffentlichte jedoch am vergangenen Sonntag (26. März) ein Video auf TikTok, in dem er für eine wiederkehrende Challenge beliebige Wörter innerhalb kurzer Zeit zu einem Text zusammenschrieb.

 

@therealkollegahGood Morning Show♬ Originalton – therealkollegah