Kritik

„Tiger King 2“ auf Netflix ohne Joe Exotic ist wie „House Of Cards“ ohne Francis Underwood


Außer Selbstverkultung nicht viel Neues: Die zweite Staffel „Tiger King“ hat leider eines mit dem kommenden Winter gemeinsam – beide lassen uns den ersten Lockdown fast nostalgisch vermissen.

Was haben wir uns über den „Tiger King“ gefreut, damals, im März 2020. Wegen der aufgekommenen Coronapandemie wurde gerade die halbe Welt in einen Lockdown geschickt. Wir alle saßen daheim. Draußen wurde das Wetter besser, drinnen die Laune wegen unsicherer Zukunftsaussichten schlechter. Und plötzlich flimmerte da in einer unglaublichen True-Crime-Gaga-Doku namens „Großkatzen und Raubtiere“ ein hochgradig fragwürdiger und unterhaltsamer Typ namens Joe Exotic über die Netflix-Bildschirme, der uns unsere eigenen Probleme kurz vergessen ließ.

„Großkatzen und ihre Raubtiere“ auf Netflix: Wie „Making A Murderer“ im Zoo

Exotic betrieb den Wildtierpark Greater Wynnewood Exotic Animal Park in Oklahoma, dessen Highlight eine Handvoll Tiger waren. Nach mutmaßlichem Vorbild des australischen Crocodile Hunters Steve Irwin nannte Exotic – bereits ein Künstlername, eigentlich heißt der Mann Joseph Allen Maldonado-Passage, geboren Schreibvogel – sich auch „Tiger King“. Sein Zoo war nicht nur ein Sammelbecken von Tieren mit teilweise dubioser Herkunft, sondern auch eines für so genannte Misfits, für Mitarbeiter, die keinen Hehl daraus machten, es wegen Drogen, Gewalt, mangelnder Bildung oder anderem in ihrem Leben bisher nicht leicht gehabt zu haben. Bei Exotic fanden sie Arbeit und Freunde. Dort hörte die hanebüchene Story aber nicht auf, sondern fing erst richtig an: In „Tiger King“, wie die Doku weltweit genannt wurde, ging es nicht nur um den mindestens halbkriminellen Paradiesvogel Exotic, der in seinem Leben schon Gay-Stripper, Polizist und Lokalpolitiker war, sondern um eine Handvoll rivalisierender Tierparkbetreiber*innen, die nur an ihr Ego, nicht an ihre Tiger dachten und allesamt dachten und noch immer denken: Die Bösen und Dummen, das sind die anderen. Ihre Backstorys? Konnte man sich nicht ausdenken.

„Tiger King 2“: Nicht mehr wie „Making A Murderer“ im Zoo, sondern wie ein Zirkus ohne Clown

Eine dieser Mitarbeiterinnen sagt in der zweiten Staffel, die gerade auf Netflix angelaufen ist, das Offensichtliche, nämlich dass Exotic in seinem Kopf schon immer ein Star war. Durch den Hype um die erste Staffel „Tiger King“ wurde er wirklich einer, bekam davon nur leider nicht viel mit: Exotic sitzt seit 2019 im Gefängnis, weil ihm neben Tierquälerei vorgeworfen wird, einen Auftragsmörder auf seine Konkurrentin Carole Baskin angesetzt zu haben. Und genau an dieser Lücke scheitert „Tiger King 2“. „Tiger King“ ohne Joe Exotic, der lediglich in Mitschnitten von Telefonaten zu hören, aber fast nicht zu sehen ist, ist wie „House Of Cards“ ohne Francis Underwood. Wie das Weiße Haus ohne Donald Trump. Wie ein Zirkus ohne Clown. Oder wie das, was es eben ist – wie eine Netflix-Serie ohne Hauptdarsteller.

Was bleibt, sind Nebendarsteller wie Jeff Lowe, der den Zoo 2018 von Exotic übernahm und zugibt, dass er blöd gewesen wäre, nach dem plötzlichen öffentlichen Interesse an seiner Person seit der ersten Staffel „Tiger King“ kein Geld damit verdient hätte. Der 15 Dollar pro Selfie nimmt und die Leute trotzdem Schlange stehen. Klar, es geht in der neuen Staffel auch um vermeintlich neue Beweise zum Fall Carole Baskin, der weiterhin vorgeworfen wird, ihren 1997 verschwundenen Mann ermordet und seine Leiche eventuell sogar an Tiger verfüttert zu haben. Possible True Crime, also. Es geht auch um das Land der Jäger und Sammler, das es Kerlen wie Exotic oder Donald Trump möglich macht, ihre Allmachtsfantasien auf Kosten von Natur und Menschlichkeit zu lange auszuleben. All das interessiert aber gar nicht mehr so recht, weil „Tiger King 2“ in die gleiche Falle tappt wie ihr verloren gegangener Hauptdarsteller: Die Serie verkultet sich selbst und kann mit der so angesetzten Messlatte nicht mithalten.

Schade. Was „Tiger King 2“ und der kommende Winter gemeinsam haben: Beide lassen uns den ersten Lockdown fast nostalgisch vermissen.

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