Diese 5 Rap-Alben aus 2017 solltet Ihr unbedingt gehört haben


Von K-Dot bis #merky: Diese 5 englischsprachigen Rap-Platten bleiben unserem Autoren Dominik Sliskovic aus 2017 besonders im Gedächtnis.

Erinnert Ihr Euch noch an Kollegahs Rant beim Echo 2016? Rap sei die umsatzstärkste Musikrichtung Deutschlands und erhalte dennoch nicht die Wertschätzung, die sie verdient. Kolles Worte haben einen wahren Kern, denn Rapmusik wird in Deutschland immer noch so kontrovers und überspitzt rezensiert wie kaum ein anderes Genre. Das gilt nicht nur für den lokalen Deutschrap, sondern auch für die englischsprachigen Acts –obwohl sie längst auch im deutschsprachigen Feuilleton ihre Nische bezogen haben. Denn Rap ist durch seine Vitalität eines der wichtigsten zeitgenössischen Sprachrohre. Wenn wir also in all den Jahresrückblicken über die Unruhen von Charlottesville und ihre Folgen sprechen werden, führt an der Auseinandersetzung mit Rap-Musikern kein Weg vorbei.

Ebenso das Thema Brexit: Großbritannien ist ein zutiefst gespaltenes Land und niemand vertont diesen Zustand besser als junge HipHop-Acts, sei es durch basslastige Beats oder eindringliche Introspektiven. HipHop und Rap sind immer auch ein Spiegel der Gesellschaft.

Diese 5 Rap-Alben werden aus diesen – und vielen weiteren Gründen – für mich über 2017 hinaus im Gedächtnis bleiben:

Kendrick Lamar – DAMN.

TO PIMP A BUTTERFLY war ohne Frage Kendrick Lamars opus magnum. Auf seinem 2015er-Album sezierte der Rapper aus Compton die USA, Rassismus, die Black Community und seine eigene Identität und verwandelte all seine Gedanken mit Free-Jazz und P-Funk als Treibmittel zu einem alles mit sich reißenden Wirbelwind. Die Frage, wie man all das übertreffen solle, stellten sich viele, nur K-Dot selbst nicht. Mit DAMN. besann er sich auf Altbewährtes, ohne dabei Retro-Mottenkisten zu durchwühlen, und kehrte zum HipHop seiner Heimat im Süden von Los Angeles zurück. Die Beats sind tight, die Samples filigran eingewebt und die Texte – mein Gott! – die Texte flossen aus den Boxen wie ein einziger Wasserfall. „Feel“ und insbesondere „Fear“, diese beiden Abhandlungen über die menschliche Psyche und Kendrick Lamars im speziellen, sind in ihrer Intensität kaum zu übertreffen, lassen sie einen jedoch, der aufmerksam hinhört – und dabei nicht nur den Worten, sondern auch dem Duktus des Rappers folgt – hinterfragen, was genau im Leben wichtig ist und ob wir all die Dinge, die wir gerne als selbstverständlich ansehen, nicht viel mehr wertschätzen sollten.

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Loyle Carner – YESTERDAY’S GONE

„Was ein Muttersöhnchen“, dürfte eine der gängigen Reaktionen auf den ersten Hördurchgang von YESTERDAY’S GONE sein. Doch was ist eigentlich daran verwerflich, seine Familie und insbesondere seine Mutter zu lieben? Loyle Carner, der mit bürgerlichem Namen Ben Coyle-Larner (kein Spaß!) heißt, zumindest beantwortet diese Frage klar und deutlich: nichts, denn Familie ist alles. Das unterstreicht er nicht zuletzt mit dem Artwork seines Debüts, auf dem der Londoner seine ganze Familie und seine engsten Freunde versammelt. Loyle Carner rettet sich in die Heimeligkeit und öffnet unter Gospelgesängen und jazzsouligen Instrumentals seine verletzliche Seite. Er verarbeitet den Verlust seines Stiefvaters, kanalisiert den Schmerz seiner Mutter, malt sich ein Leben an der Seite einer fiktiven Schwester namens Florence aus und bricht so mit dem dogmatischen Männlichkeitsbild, das der HipHop seit Jahren wie ein Krebsgeschwür bekämpft. Kaum zu glauben, dass dieser in seinen Raps so ruhig und besonnen wirkende junge Mann ADHS attestiert bekommen hat.

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Stormzy – GANG SIGNS & PRAYER

Der Londoner Rapper lief bereits Gefahr als uneingelöstes Versprechen zu verenden, als er Anfang 2017 endlich sein Debütalbum veröffentlichte – und als erster Grime-Rap-Act überhaupt den Spitzenplatz der britischen Album-Charts erreichte. Stormzy nutzte den Aufwind, für den Grime-Veteran Skepta und seine BBK-Posse mit ihren Erfolgen sorgten. Der aus dem Südlondoner Viertel Croydon stammende Musiker schreibt auf GANG SIGNS & PRAYER eine Geschichte von unten. Es geht um Depressionen, Hunger, Ängste. Stormzy ließ sich von seinem Produzenten Fraser T Smith passend zu der lyrisch schweren Kost ein dunkles Nebelschloss aus bollernden Beats und harten Bässen bauen, ohne dabei auf atmosphärische Auflockerung durch fein arrangierte Gospel-Nummern wie „Blinded By Your Grace Pt. 2“ zu verzichten. Bei alledem ist GANG SIGNS & PRAYER vor allem sehr guter Pop. Die Vorabsingle „Big For Your Boots“ und der von Mura Masa co-produzierte Opener „First Things First“ sind so nah an der aktuellen Mentalität des UK, dass – schließt man die Augen – sich selbst in den von Gentrifizierung und Öl-Milliarden bedrohten Gassen Südlondons wiederfindet.

Tyler, The Creator – FLOWER BOY

Er war schon immer dieser extrem streitbare, aber eben auch extrem talentierte Typ: Tyler, The Creator fabulierte in seinen frühen ADHS-Produktionen mal über Vergewaltigungsfantasien, mal sinnierte er über die Freude des Koitus mit Minderjährigen. Die Intensität seines Vortrags führte dazu, dass viele in diesen verstörenden Geschichten nicht eine Prosafigur, sondern Tyler selbst sahen. Mit FLOWER BOY änderte sich plötzlich diese Sichtweise. Plötzlich schlugen Feuilletonisten ähnlich versöhnliche Töne an. Das mag vielleicht am wesentlich zugänglicheren, smoothen Sound der neuen Platte liegen, der wahre Grund dürfte jedoch im mutmaßlichen Coming Out des Golf-Wang-Rappers mit der viel zitierten Zeile „ I’ve been kissing white boys since 2004“ liegen. Es folgten Essays, ganze Abhandlungen, die aufzeigen sollten, dass Tyler sich seit Jahren versucht zu outen, aber nicht gehört wurde. Was aber, wenn Tyler – der bereits 2014 bei Larry King sagte, es sei scheissegal, wen man liebe – mit seinem vermeintlichen Coming Out nur zeigen will, dass es die Öffentlichkeit – und damit auch die sich immer als so liberal selbstdarstellenden Kultur-Journalisten – sehr wohl noch kratzt, wer wen liebt? So betrachtet ist FLOWER BOY nämlich der ultimative vorgehaltene Spiegel an unsere so tief verlogene Gesellschaft.

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Vince Staples – BIG FISH THEORY

„BIG FISH THEORY is electronic album of the year“, twitterte Vince Staples Mitte November in Richtung des Grammy-Gremiums und unterstrich damit, dass vor allem er selbst in seinem zweite Album viel mehr wiederfindet als reinen HipHop. Ganz verkehrt liegt der 23-jährige Kalifornier, der sich vor Vergleichen mit Kendrick Lamar kaum retten kann, damit nicht. BIG FISH THEORY lässt britische Bassmusik mit Avantgarde zusammenfließen und hebt damit die Ansprüche an US-amerikanischen HipHop auf ein neues Level. Zwar finden sich in den Credits spannende Namen wie Justin Vernon, SOPHIE und Damon Albarn wider, doch es ist Staples allein, der das Album trägt. Die mit Dada flirtenden Texte, die Politik und Rassenunruhen verhandeln, aber dennoch immer wieder auf den eigenen Alltagskampf zurückkommen, werden vom Zusammenspiel aus seinem stoischen Flow und den technoiden Beats getragen. Selbst „King Kendrick“ gibt sich auf BIG FISH THEORY die Ehre – und tut Vince Staples damit den Gefallen, ihm die Grenzen seines Charismas aufzuzeigen. Ein großer Wurf, aber noch lange kein „Game Changer“, wie sie Kendrick Lamar seit GOOD KID, M.a.a.d. CITY konstant abliefert.

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