Konzertbericht

Dylan live in Hamburg: Therapie-Zeit, die keine Müdigkeit kennt


Wir waren beim Konzert im Mojo dabei. Erfahrt hier, warum wir jetzt für sie den Fluchtwagen fahren würden.

Seit Ende Januar reist Dylan im Rahmen ihrer „Rebel Child“-Tour durch Europa und traf gemeinsam mit ihrem Support-Act Sody am 07. Februar auch in Hamburg ein. Am Abend ließ sie dann das restlos ausverkaufte Mojo zu einem Safe Space für alle Besucher:innen werden – uns somit auch für uns.

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Dylan-Fans stellen sich früh an

Schon einige Stunden bevor erst Sody um 20 Uhr und dann Dylan um 21 Uhr die kleine Bühne im unterirdischen Club betreten sollten, bildete sich eine Schlange um St. Paulis Tanzende Türme. Der Kälte durch Wärmedecken trotzend, reihten sich die ersten Fans bereits in den frühen Morgenstunden ein, um die Sängerin ganz nah zu erleben. Trotz eisiger vier Grad schien die Vorfreude zu überwiegen und auch von abgestimmten Outfits – inklusive Glitzersternen im Gesicht – hielt der graue Wintereinheitsbrei sie nicht ab. Einige ihrer Anhänger:innen reisen der Künstlerin aktuell tatsächlich richtig hinterher, was wohl beweist – die 24-Jährige hat ordentlich was drauf und kann, was die Fan-Base angeht, schon ganz oben mitspielen.

Nachdem dann um 19 Uhr endlich die Bodenklappen geöffnet wurden, die den Zugang zur Venue tagsüber verstecken, konnte sich auch schnell aufgewärmt werden. Bei solch einem Ansturm kann man nur abschätzen, wie nervös Sody gewesen sein muss. Die Rolle des Vor-Acts ist ebenso eine Ehre, wie auch eine Herausforderung. Immerhin stehst du vor einer Menge, die in vielen Fällen nicht wegen dir angereist ist. Dieser Aufgabe nahm die Engländerin dennoch souverän an.

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Selbstbewusst wirkte sie definitiv, als sie mit Lederhose und weißem Hemd den Platz am Mikrofon einnahm und die ersten Zeilen ihres Songs „Star Potential“ sang. Auch wenn sie nach eigener Aussage fast nur „Sad Songs“ im Gepäck hat, hielt es die vorderen Reihen keineswegs davon ab, sie mit bester Applaus-Laune zu supporten – und mit Sternen. Passend zum Titel ihren Openers, hielten einige Anwesende, perfekt vorbereitet, gelbe Papier-Sterne über ihre Köpfe und verwandelten den Raum so zu einer Art Nachthimmel. Einige Dylan-Fans könnten demnach wohl auch bei der nächsten Sody-Tour auf der Matte stehen.

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Das gefühlte Motto der 23-Jährigen: Wenn Dylan später noch poppige Banger liefert, kann man auch erstmal ruhig in den Abend starten. Trotzdem fand man statt unbegeisterten Gesichtern im Publikum eher im Takt zustimmendes Nicken und Wippen. Zu ihren Tracks gab es vorab immer die erklärende Geschichte, die sie zum Schreiben des Stücks inspiriert hatte. So auch bei ihrem bisher nicht veröffentlichten Song „Stockholm“ – ein klassischer Heartbreak-Song über eine Beziehung, die die Distanz nicht überleben konnte und von einer Seite aus nicht einmal den Versuch wert war.

Doch so schön es auch war, die Hintergründe ihrer Kunst zu erfahren, nahm die Pre-Story auch etwas Unvoreingenommenheit und es hätte sie nicht zu jedem Track gebraucht, um ihn zu verstehen und auf sich wirken zu lassen.

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Ein Safe Space für alle mit Faible zum Rebellieren

Nach einer guten Handvoll Liedern räumte Sody die Bühne wieder und machte ihrer Freundin Dylan Platz, die auch nicht lange auf sich warten ließ. Mit einem Knall und dem Titeltrack ihrer Tour „Rebel Child“ eröffnete sie ihren Headliner-Slot. Und was soll man sagen, es hätte wohl keinen besseren Song zum Einstieg gegeben, als den, der ihren Charakter so gut beschreiben soll und zu dem wohl auch einige Personen der größtenteils eher jungen Crowd relaten können.

In den ersten fünf Minuten bekommen wir bereits volle Power, ein Bühnenoutfit, von dem jeder rebellische Teenie mit Rockstar-Potential nachts geträumt hätte und eine überwältigte Dylan, die mit so lautstarker Begeisterung ihrer Fans wohl immer doch nicht gerechnet hätte.

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Auch wenn der Publikums-Favorit mit „Rebel Child“ schon durch war, ging es nicht weniger energiegeladen weiter. Mit dem „Girl of Your Dreams“ konnte die Britin noch einen Treffer landen – zumindest bei allen, die sich gerne mal gedanklich ihren romantischen Vorstellungen hingeben. Ihr etwas ruhigeres Pop-Stück „Nineteen“ kühlte die Menge kurz ab, bevor Dylan ihren Country-Pop-Track „Every Heart But Mine“ auf die Bühne brachte, der beweist, dass, auch wenn einige Lieder vielleicht keine Streaming-Hits werden, sie vielleicht einfach dazu gemacht sind, live gespielt zu werden.

Nicht nur in ihrer Musik lässt die Sängerin ihre Gefühle heraus – auch die Kommunikation über Mental Health beim Gig schien ihr sehr am Herzen zu liegen. Das machte sie besonders im ersten Drittel der Show klar, indem sie erinnerte, dass alle Personen, die im Mojo zusammengekommen seien, sicherlich ihr Päckchen zu tragen hätten – sonst wären sie wohl nicht bei genau ihrer Show gelandet, witzelte sie und meinte es doch auch ernst. Aber Spaß zumindest halb bei Seite – sie verdeutlichte, dass ihre Konzerte einen Safe Space für alle Anwesenden sein sollten und dass sie hoffen würde, mithilfe ihrer Songs für einen Abend die Therapeutin ihrer Fans sein. Plus: Gleichzeitig wolle sie ihre Fans auch als Therapeut:innen für sich nutzen.

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Wie sie weiterhin am Abend beichtete, hätte sie einen neuen, bisher unveröffentlichten Song dabei, den sie gerne den Leuten präsentieren würde – aber nur, wenn sie auch gutes Feedback bekommen würde. Denn nur das würde ehrlicherweise ihre Aufregung bessern. Für die Besucher:innen des Mojos kein Problem – gesagt, getan.

Alles in allem schien sich Dylan auf der Stage pudelwohl zu fühlen. In einem Moment bretterte sie „Liar Liar“ (ihr gemeinsames Werk mit Bastille) ohne Probleme alleine hin und spielte dann noch zur Freude aller Swifties im Akustik-Medley „Out Of The Woods“ zusammen mit ihrem eigenen Stück „Sour Milk“. Selbst als sie die Lyrics kurz vergaß und ihren Drummer um Hilfe bitten musste und sie obendrein ihre Periode gerade ganz aufgedreht machen würde, wie sie erzählte, lieferte sie rundum ab.

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Kein Anschein von Müdigkeit

Während sich zwischenzeitlich erkennen ließ, dass während eines weiteren Covers von Sam Smiths „Unholy“ und ihren Originals „Someone Else“ und „Blue“ es besonders am Rand der Menge etwas stiller wurde und die Halbzeit in etwa erreicht war, aktivierte Dylan sie kurzerhand wieder mit einem weiteren unveröffentlichten Song. „Alibi“ hatte sie bereits Wochen vorher in ihren Socials angeteasert und Snippets veröffentlicht, die durch ihren eingängigen Refrain direkt abrufbar waren, sodass das Publikum langsam aber sicher wieder auftaute. Der Track handelt von bedingungsloser, vielleicht auch etwas zu bedingungsloser Liebe, für die man zu allem bereits wäre – auch zum Stellen eines Alibis, wenn die andere Person (natürlich nur beispielsweise) eine Leiche verschwinden lassen müsste. Was wir daraus mitgenommen haben? Naja, wenn Dylan weiterhin derartige Performances abliefert, wären wir dazu vielleicht auch bald bereit.

Jeglicher Anschein von Müdigkeit war danach gänzlich verflogen, als sie auch noch ihren Hit „You’re Not Harry Styles“ als Ass aus dem Ärmel schüttelte und den Club so noch einmal zum Beben brachte. Die klingenden Ohren hat man dafür ebenso gern in Kauf genommen, wie für „No Romeo“ – bei dem man fast schon gebrochene Herzen wieder etwas heilen sah. Wenn Dylan sagt, er sei kein Romeo, dann kann er es wohl auch nicht sein. Glücklich schloss sie den Abend sehr passend mit ihrem Dance-Pop-Song „Nothing Lasts Forever“ ab, der fast schon etwas Nostalgie mitschwingen ließ, obwohl die Show noch lief.

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Nachdem die Stage-Lights ausgingen und die Band hinterm Vorgang verschwunden war, erschien es kurz, als wäre man aus einem Traum etwas zu hastig herausgerissen worden. Statt Zugaben-Rufen folgte innerhalb von Sekunden ein Gedrängel zu Garderobe. Auch wenn erfahrungsgemäß keine Extra-Tracks bei Dylans Gigs zu erwarten sind, war man doch überrascht, wie schnell das Publikum mit dem letzten Song abgeschlossen hatte und die Heimreise antrat.

Aber auch das war schnell verdaut und nach zwei Stunden mitsingen im Club war es dann auch ganz angenehm wieder über der Erde Luft schnappen zu können. Abschließend lässt sich kaum mehr sagen als – danke, Dylan! Und ruf‘ an, falls du ein Alibi brauchst. Im Fluchtwagen laufen deine Tracks in Dauerschleife …