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Hotlist 2024: Die spannendsten Newcomer:innen des Jahres


Von The Last Dinner Party über Chappell Roan bis hin zu Fat Dog: Von diesen 13 Artists erwarten noch einiges.

Wer sind die besten neuen Bands und Künstler:innen? Auch dieses Jahr schauen wir mit unserer Hotlist in die Zukunft. Die Band der Stunde kommt aus London: The Last Dinner Party verpassen dem Art-Rock eine Frischzellenkur. Der US-Musiker Teezo Touchdown biegt die Genres zum irren Gegenwartssound. Und im Deutsch-Pop findet Levin Liam einen neuen Ton zwischen Rap und empfindsamem Songwriting. Diese und weitere Newcomer:innen, die 2024 prägen werden, findet ihr hier.

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The Last Dinner Party: The Great British Renaissance

Die frisch gekrönten Königinnen im Reich zwischen Barock-Pop und Indie-Rock: The Last Dinner Party sind Englands Band der Stunde. Das Debüt heißt passenderweise PRELUDE TO ECSTASY und ist genauso theatralisch wie ausgefeilt. Und das Beste: Die Mischung aus moderner Jane-Austen-Ästhetik und Gitarren, aus Rock’n’Roll und Rokoko hat sich kein Label ausgedacht, sondern sie selbst – in den Raucherecken Londoner Pubs.

Am Ende war es dieser eine Abend im Pub, der nach all den endlos zerdehnten Pandemiemonaten des Wartens, Planens und Komponierens für The Last Dinner Party den persönlichen Durchbruch brachte, sie nennen ihn „den betrunkenen Abend“. Bis dahin hatten die Sängerin Abigail Morris, die Gitarristinnen Lizzie Mayland und Emily Roberts, die Bassistin Georgia Davies sowie die Keyboarderin Aurora Nishevci ausgiebig an ihrer Vision von der perfekten Rockband gearbeitet. In der Theorie waren The Last Dinner Party mehr als startklar, als sie an diesem Tag im November 2021 zusammenkamen. Aber gemeinsame Proben hatte es kaum gegeben, geschweige denn ein Konzert.

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„Wir waren übervorbereitet, jeder Ton, jede Geste saßen“, sagt Georgia Davies zwei Jahre später. Wir sitzen mit ihr und Abigail Morris im Backstage-Bereich des Berliner Velodroms, wo die Band am Abend im Vorprogramm von Hozier auftreten wird. Morris erinnert sich weiter an den „betrunkenen Abend“: „Man durfte wieder kleinere Konzerte spielen und wir hatten unsere erste Show in dem Pub The George im Londoner East End gebucht“, sagt sie. „Eine Woche vorher trafen wir uns zu einer Probe, aber es lief nicht rund.“ Also beschlossen sie, erst mal in den nächsten Pub zu gehen und ein paar Pints zu trinken. Dort wurde es recht ausschweifend, die Stimmung war fantastisch. Solchermaßen euphorisiert, begaben sie sich zurück in den Proberaum und plötzlich entluden sich die vielen Gespräche, Writing-Sessions und konzeptuellen Überlegungen in der besten Probe der bisherigen Bandgeschichte. Seit diesem Abend gibt es ein Davor und ein Danach.

Im Davor lernen sich Morris und die gebürtige Australierin Davies 2019 am Londoner King’s College kennen. Mit ihrer Kommilitonin Emily Roberts gehen sie regelmäßig auf Konzerte, bei denen aber nie die Bands spielen, die sie eigentlich gerne sehen würden. Also verbringen die Freundinnen die Zeit in Raucherecken, trinken Bier und denken sich die perfekte Band aus. Der Plan, diese Band einfach selbst zu gründen, kommt von Abigail, bald schließen sich Aurora Nishevci und Emily Roberts dem Trio an. „Danach wurden wir regelrechte Classic-Rock-Studentinnen“, sagt sie. „Wir haben uns Auftritte von Leuten wie Queen und Bowie angesehen und haben deren Moves und Posen studiert. Mir ist klar, dass das womöglich ein bisschen prätentiös wirkt, aber hey: Es soll sogar prätentiös wirken. Mit einem kleinen Zwinkern vielleicht.“

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Es gab also noch keinen einzigen Song, da hatten The Last Dinner Party schon entschieden, dass diese Band ein Gesamtkunstwerk werden sollte, bei dem Auftreten, Style, Performance ebenso wichtig sind wie die Musik. Die Heldinnen dieser Geschichte waren damals vor allem fünf Freundinnen, die an das Gleiche glaubten. Es gab noch kein Management, keine Plattenfirma. Die brauchten sie damals auch gar nicht: Sie wussten es einfach selbst. Spätestens seit dem „betrunkenen Abend“: dass sie gemeinsam die Welt aus den Angeln heben können.

Im Danach sind The Last Dinner Party die Indie-Rock-Band der Stunde. Nur sechs Monate nach dem „betrunkenen Abend“ haben sie eins ihrer ersten Konzerte im Hyde Park als Vorgruppe der Rolling Stones gespielt. Richtig gelesen: Die zum damaligen Zeitpunkt völlig unbekannte Band – 500 Follower bei Instagram! – hatte sich über Nacht zum Londoner Stadtgespräch entwickelt. Durch ihre furiosen Gigs, zu denen immer mehr Leute kamen. Im April 2023 erschien dann ihr Song „Nothing Matters“ und stürmte die Bestenlisten, im vergangenen Sommer spielten Last Dinner Party auf dem Glastonbury- Festival. Heute erzielen ihre Videos siebenstellige Klickzahlen, sie werden auf TikTok wie wild geteilt, der britische „NME“ widmete ihnen eine Cover-Story und bei den Brit-Awards räumen sie den „Rising Star“- Preis ab. Seit dem „betrunkenen Abend“ sind anderthalb Jahre vergangen.

Und weil das nicht das Ende, sondern der eigentliche Anfang dieser Geschichte ist, erscheint im Februar das erste Album der Band, PRELUDE TO ECSTASY. „Es war immer klar, dass wir ganz altmodisch ein Album als Gesamtkunstwerk machen wollten, keine EPs oder einzelne Songs“, sagt Morris. Aufgenommen haben sie es in den The Church Studios in London, produziert hat der Arctic-Monkeys-Produzent James Ford. „James ist immun gegen jede Art von Hype und den Celebrity-Aspekt von Pop“, sagt Morris, „dadurch hat er uns die Aufregung genommen, er war perfekt für uns.“

PRELUDE TO ECSTASY ist gegliedert im Stil einer Orchestersuite. Es gibt ein Präludium, eine Koda und das wehmütige Zwischenstück „Gjuha“, in dem Aurora Nishevci auf Albanisch beklagt, dass sie die Sprache ihrer Eltern nicht richtig beherrscht. Nishevci hat Komposition an der Guildhall School of Music and Drama studiert, sie hat die Orchesterpassagen geschrieben und dirigiert. „Es ist ein Segen, Aurora in der Band zu haben“, sagt Davies. „Eigentlich wollten wir nur eine Keyboarderin haben und plötzlich hatten wir dieses Kraftpaket. Sie ist ein Genie.“

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Die Basis für die meisten Songs hat Abigail Morris am Klavier geschrieben. Mit einer Stimme im Energiefeld zwischen Florence Welch und Freddie Mercury singt sie über Katholizismus, weibliche Wut, Feminismus, vor allem aber über die Liebe in all ihren Schattierungen, also über gebrochene Herzen, toxische Beziehungen, you name it. „Es hat einfach eine zeitlose Dringlichkeit, über Intimität, Verlust, Lust, Liebeskummer zu schreiben“, sagt Morris. Es geht aber, zum Beispiel in „Nothing Matters“, auch um wenig zeitgeistig erscheinende Rock’n’Roll- Topoi wie Autos und Motorräder. „Bitches und Scheiß-Autos, Mann, Babes und Motoren, das ist mein Ding!“, sagt Morris lachend. Humor haben sie also auch.

Aufgenommen haben sie das Album überwiegend live, und man hört all die Inspirationen: Man hört, dass Georgia Davies ihren Master über viktorianische Schauerliteratur geschrieben hat, dass Emily Roberts Jazzgitarre, Abigail englische Literatur und Lizzie Kunstgeschichte studiert hat. Man hört, wie Romantik, Rokoko und die Ästhetik der Filme von Sofia Coppola in die Konzeption eingeflossen sind und die Musik von Arcade Fire, Florence And The Machine, Fleetwood Mac, Siouxsie and The Banshees, ABBA und so vielen anderen. PRELUDE TO ECSTASY ist das beste Debütalbum einer britischen Rockband seit WHATEVER PEOPLE SAY I AM, THAT’S WHAT I’M NOT von den Arctic Monkeys. Das war vor 18 Jahren. Nichts war seitdem so unpopulär wie das romantische Modell der Rockband. „Ich gehe davon aus, dass wir Teil einer großen Renaissance sind“, sagt Abigail Morris. „Nach der langen Pandemiezeit haben die Leute ein Bedürfnis nach dieser Art von Gemeinschaftserfahrung.“
Ein Rock’n’Roll-Klischee lassen The Last Dinner Party inzwischen aus: Seit dem „betrunkenen Abend“ treten sie nur noch nüchtern auf. Der Rausch von damals hält bis heute an.

Woher: London

Für Fans von: Kate Bush, Siouxsie And The Banshees, Florence & The Machine, „Bridgerton“, Sofia Coppola, Lana Del Rey

Anspieltipps: „Burn Alive“, „Nothing Matters“

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