Meinung

Was der ECHO 2019 anders machen sollte 


Die folgenden Änderungen würden unserer Meinung nach aus dem ECHO einen weniger ärgerlichen Musikpreis machen können.

Seit Jahren gleicht der ECHO Pop, so sein offizieller Name, einem Trauerspiel: Mal werden Frei.Wild aus Südtirol in der Kategorie „Gruppe Rock/Alternative national“ nominiert und nur wegen öffentlichen Drucks (Kraftklub, Mia. und Die Ärzte sagten ihre Teilnahme ab, Unheilig gewannen konkurrenzlos) wieder ausgeladen. Ein Jahr später werden sie prompt wieder nominiert, 2016 gewinnen sie sogar einen ECHO – nur eine von vielen Peinlichkeiten beim ECHO 2016.

ECHO 2018: Klaus Voormann gibt den Preis für sein Lebenswerk zurück
2017 unterstreichen nach ärgerlichem Versuch einer Jury-Einführung das Moderatoren-Duo Sasha und Xavier Naidoo die Langeweile und Anspruchslosigkeit des „wichtigsten deutschen Musikpreis“, Jan Böhmermann parodiert dessen aufs Verkaufszahlen basiertes System und die seit Jahren immergleiche Industriemusik mit „Menschen Leben Tanzen Welt“. Geändert hat all das und noch viel mehr bisher rein gar nichts: 2018 sorgte der ECHO allein deshalb für Schlagzeilen, weil Kollegah und Farid Bang trotz geschmackloser und kontrovers diskutierter Textzeilen nicht nur für einen ECHO nominiert blieben und auftreten durften, sondern ihn auch noch gewannen. Ein Schelm, wer hier Kalkül unterstellt.

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Der Nächste, bitte: Auch Marius Müller-Westernhagen gibt seine Echos zurück
BVMI-Chef Dr. Florian Drücke sieht seinen Preis nun so oder so in falsches Licht gerückt und kündigt Änderungen im ECHO-Regelwerk an. Welche, das hat er noch nicht verraten, womöglich kennt er sie selbst noch nicht. Wir helfen deshalb gerne aus: Die folgenden Änderungen würden unserer Meinung nach aus dem ECHO einen weniger ärgerlichen Musikpreis machen können. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

Was der ECHO 2019 besser machen könnte

Der ECHO 2019 sollte sein bisheriges Regelwerk über Bord werfen

Peter Maffay fordert Rücktritt der ECHO-Verantwortlichen
Okay, das ist natürlich viel zu viel verlangt vom BVMI, sein für sich selbst so schön durchsichtiges Regelwerk komplett über den Haufen zu werfen. Aber denken wir das doch mal an: „Seine gesamte Anlage ist falsch“, setzte etwa Jens-Christian Rabe in der Süddeutschen Zeitung an. „In der Kunst sind Preise üblicherweise Auszeichnungen für herausragende künstlerische Leistungen. So wie es im Sport Preise für herausragende sportliche Leistungen gibt. Wenn also zum Beispiel in Deutschland jemand ein herausragendes Buch geschrieben oder einen besonders guten Film gedreht hat, dann bekommt er dafür deshalb womöglich den Deutschen Buchpreis oder den Deutschen Filmpreis. Eher weniger werden Preise in der Literatur oder beim Film allein schon dafür verliehen, dass man ein Buch besonders oft verkauft oder besonders viele Zuschauer ins Kino gelockt hat. Eine Belohnung ist dafür ja auch nicht mehr nötig, man hat sie in Form von Geld bereits erhalten. Und exakt hier ist das zentrale Missverständnis des Echo, das die Macher natürlich gerne in Kauf nehmen: Das wesentliche Kriterium dafür, einen Echo für das Album oder den Hit des Jahres zu erhalten, ist nicht eine herausragende künstlerische Leistung, sondern die nackten Verkaufszahlen. Der Echo prämiert den kommerziellen Erfolg eines Werkes, nicht jedoch künstlerische Qualität.“ Und weil das so ist, ist der ECHO eben so berechenbar, selbstgefällig und trostlos. Als Freigeist gilt dort schon, wer einen Mittelfinger in die laufende Kamera hält oder es sonst wie schafft, auch nur irgendwas Gehaltvolles oder gar Kritisches zu sagen.

ECHO 2018: Unser Lehrer Doktor Specht gegen Kollegah
Es hilft ein Blick auf die Großmacht von Pop und Entertainment: In den USA schaffen es die GRAMMY-Verantwortlichen jedes Jahr aufs Neue, international hoch angesehene Musikpreise zu vergeben, deren Gewinner mitunter auch kommerziell sehr erfolgreich sind, aber nicht deshalb zu Gewinnern gekürt werden. Sondern weil sich eine Fachjury für sie entschieden hat. Ferner werden von Moderatoren, Laudatoren oder Gewinnern bei Grammys, Emmys oder Oscars auch die Augen vor Problemen ihrer Branchen nicht verschlossen: Themen wie die #MeToo-Debatte, Rassismus-Diskussionen (#OscarsSoWhite) oder Gender-Topics – unvorstellbar, dass sie auch beim ECHO vor laufender Kamera diskutiert werden würden. Hauptsache Freigetränke und Schulterklopfer!

Über die Mitschuld der Fachjury und ihren Stimmenanteil am Sieg von Kollegah und Farid Bang haben wir an dieser Stelle übrigens noch gar nicht gesprochen. Immer hin dürfte diese ja auch die Chance gehabt haben, einen anderen Künstler auszuzeichnen.

Der ECHO 2019 sollte Kritik endlich ernst nehmen

Es ist ja nicht so, dass die ECHO-Verantwortlichen die ständige Kritik an ihrem Preis nicht hören: Die Entscheidung, 2017 eine Fachjury einzuführen, war ganz offensichtlich eine Reaktion auf die berechtigten Vorwürfe, der ECHO sei zu durchsichtig. Geändert hat es leider nichts, siehe etwa „Warum wir Teil der Jury beim ECHO 2017 wurden – und uns jetzt verarscht fühlen“ und die immergleichen Gewinner und Gesichter in „Echo 2017: Vox, wir müssen reden!“. Anfang des Jahres wurden gar Pressevertreter zu einem Roundtable geladen, um Kritik, Wünsche und Vorstellungen zu äußern, im unmittelbaren Vorfeld der diesjährigen Preisverleihung 2018 gab sich das ECHO-Team zudem auf seinen Social-Media-Kanälen offen für Kritik. Nachdem wir unter anderem feststellten, dass die angeblichen Newcomer DJ Khaled und French Montana seit Jahren im Geschäft sind und deshalb nur in der auf, ja, Chartentries und Verkaufszahlen fußenden ECHO-Logik als Newcomer durchgehen, antworteten sie auf Facebook: „Das mag richtig oder falsch sein, there’s always room for improvement, wir sehen uns das an!“ Nur wann, in welchem Jahr und mit welcher wirklichen Verbesserungsabsicht, das weiß seit Jahr und Tag keiner.

Der ECHO 2019 und seine Protagonisten müssen Haltung zeigen

Gewann nach einjähriger Auszeit wieder einen Preis, ECHO-Ordnung wieder hergestellt: Helene Fischer
Gewann nach einjähriger Auszeit wieder einen Preis, ECHO-Ordnung wieder hergestellt: Helene Fischer

Auch hier wurde sich bislang mit dem eigenen Regelwerk herausgeredet und ausschließlich reagiert: Hätten Kraftklub und Co. 2013 keinen Wind gemacht, hätten Frei.Wild vielleicht schon damals einen ECHO gewonnen. Hätte die Öffentlichkeit nicht Kollegahs und Farid Bangs verbale Entgleisungen kritisiert, hätten auch die ECHO-Verantwortlichen den zwei Rappern ihr Geschäft mit der Provokation unkommentiert durchgehen lassen. Und hätte Campino in diesem Jahr nichts gesagt, hätte sich der Rest der anwesenden Musiker und Branchenvertreter wohl nicht mal zu ihren dezenten Buhrufen durchgerungen.

Der in beiden Fällen einberufene Ethik-Beirat ist leider nichts als Augenwischerei. Blöd nur für die ECHO-Verantwortlichen, dass dessen Einsatz und Erklärung als ebendies wahrgenommen wurde. „Aber wir haben doch…“ – eine Ausrede, die 2018 keinen interessierte oder gar überzeugte.

Der ECHO 2019 sollte sich wirklich für gute Musik interessieren

Okay, in der deutschen Popbranche ist offenbar kein Platz für Politik oder offenem Umgang mit Problemen. Wie schön wäre es, wenn es denn wenigstens um gute Musik ginge! Geht es nicht, wie nun, nach der Motto-Farce „Von Musikern für Musiker“, auch der Letzte mitbekommen haben dürfte. Aus gesicherten Quellen wissen wir, was ohnehin offensichtlich ist: Nicht wenige der Nominierten oder sonst wie teilnehmenden Musikerinnen und Musiker finden den ECHO in seiner jetzigen Form ebenso, nun ja, dürftig. Die Denkweise „Wer mitspielen will, muss mitspielen“ stimmt nicht unbedingt: Kraftklub oder AnnenMayKantereit haben ihre ECHO-Absagen nicht geschadet. Dass aber selbst eine sonst immer mitspielende Band wie The Boss Hoss dieses Jahr, angeblich aus Protest, nicht vor Ort mitgesoffen haben, hat tatsächlich keiner gemerkt.

Der ECHO 2019 sollte nicht nur die Majors zahlen lassen

Hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Würden Acts von mehreren Labels als bloß von Universal, Warner und Sony bei den ECHOs eine Rolle spielen, würde auch die Vielfalt der Preisverleihung größer und das gegenseitige Arschgekrieche kleiner werden. Solange es beim ECHO aber – Ihr wisst schon – um Verkaufszahlen geht, wird das nie passieren: Schließlich sind es die Majorlabels, die ihren Acts die besten Songwriter, die gefragtesten Produzenten und das größte Marketing-Budget verschaffen können. Und Acts, die von all dem profitieren können, sind in der Regel eben die, deren Musik gespielt, gekauft und am Ende beim ECHO ausgezeichnet wird.

Der ECHO 2019 sollte wenigstens den Kritikerpreis aufwerten

Haiyti gewann den Kritikerpreis: Als einzige von den Nominierten erschien sie überhaupt beim ECHO.

Okay, hier ein Kompromissvorschlag zur Güte: Befreit doch wenigstens den Kritikerpreis von seiner bisherigen Feigenblatt-Funktion. Anstatt wie zuletzt fünf Alben zu nominieren und dann am Ende zufälligerweise das der Künstlerin auszuzeichnen, die bei einem Majorlabel unter Vertrag steht, könnten drei Kritiker-Kategorien eingeführt werden: bester Künstler, bestes Album, bester Newcomer, zum Beispiel. Einer der Künstler, der einen der Kritikerpreise erhält, sollte zudem bei der Veranstaltung nicht nur „Danke“ sagen, sondern auch live auftreten dürfen. Da müssen die Helene-Fischer-Fans dann durch, aber hey: Vielleicht gefällt ihnen die Musik ja sogar!

Der ECHO 2019 könnte aber auch ganz anders konsequent sein

Wenn das alles nichts wird, empfehlen wir die Adaption der Grimmepreis-Systematik: Die jeweiligen Preisträger werden unspektakulär auf einer überschaubaren Presseveranstaltung und danach via Pressemitteilung bekanntgegeben. Ein paar Tage oder Wochen später findet die bewusst überraschungsfreie Preisverleihung auf einem als Party getarnten Branchentreffen statt, für das man sich die Produktionskosten für TV-Live-Übertragung, Public-Viewing-Event und so weiter sparen könnte – würde dann ja erst recht keinen mehr interessieren! Gut, die Werbeeinnahmen für den derzeit ausführenden Fernsehsender VOX gingen noch weiter den Bach runter. Aber der Ruf von Sender, Preis und Verantwortlichen nicht. Und das wäre doch auch mal eine beachtliche Leistung.

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AFP Contributor AFP/Getty Images