Popgeschichte

Was wurde eigentlich aus… Schnappi, dem kleinen Krokodil?


Im Jahr 2004-2005 war „Schni-Schna-Schnappi, das kleine Krokodil“ Deutschlands größter Chart- und Downloadhit. Wie konnte es zu einem derartigen Phänomen kommen? Und was machen die einstige Kindersängerin Joy Gruttmann und ihr damaliges Team heute, 15 Jahre später? Eine Chronologie mit Interviews und Comeback-Aussicht.

Es gilt als dunkelgrünes Erfolgskapitel der deutschen Popgeschichte: Im Jahr 2004 machte sich ein kleines Krokodil auf, Kinderzimmer, Rundfunk-Rotationen, Ballermann-Partys und die Charts von hinten aufzuräumen. Die Debütsingle von Schnappi, so der Name des Krokodils, das jeder kennt, wurde am 6. Dezember 2004 offiziell veröffentlicht. Dank Internet und Radio war „Schnappi, das kleine Krokodil“ schon davor das, was man heute Viralhit nennen würde, danach wurde das Kinderlied auch offiziell ein Hit, wie ihn die deutschen Charts davor und danach nicht wieder gesehen haben: „Schnappi, das kleine Krokodil“ hielt sich 2005 dramatische 25 Wochen in den Charts, davon zehn Wochen auf Platz 1. In sechs weiteren Ländern erreichte „Schnappi“ ebenfalls die Chartspitze. In den ersten vier Wochen wurde die Single als Maxi-CD (!) und Download 250.000 Mal verkauft, knapp ein Jahr später waren es 1,4 Millionen Einheiten. Das Album SCHNAPPI UND SEINE FREUNDE ging 420.000 Mal über die Ladentheken. Bei der ECHO-Verleihung 2005 gewann Schnappi in der Kategorie „Download des Jahres“. Danach wurde es still um das kleine Krokodil (und lauter um Tokio Hotel, die im August 2005 ihre Debütsingle „Durch den Monsun“ veröffentlichten).

Wie konnte es zu einem derartigen Phänomen kommen?

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Schnappi: Erfolg durch Internetforen und illegale MP3-Tauschbörsen

Joy Gruttmann mit Schnappi bei der „BRAVO Super Show“ am 19. März 2005 in Hannover
Joy Gruttmann mit Schnappi bei der „BRAVO Super Show“ am 19. März 2005 in Hannover

Hinter Schnappi steckten vier Personen: Iris Gruttmann, Joy Gruttmann, Rosita Blissenbach und Peter Burtz. Die aus Gelsenkirchen stammende und in Köln lebende Kinderlied-Autorin Iris Gruttmann, die für Beiträge in „Die Sendung mit der Maus“ und „Das große Felix-Liederalbum“ Goldene Schallplatten gewann, erfand die Melodie, schrieb den Ursprungstext um, der bei ihrer Kollegin Blissenbach seit Jahren in der Schublade lag und nahm „Schnappi, das kleine Krokodil“ bereits 1999 mit ihrer damals vierjährigen Nichte Joy am Mikrofon auf. Diese Version erschien 2001 auf einem Kinderlied-Sampler namens „Iris Lieder – Lied für mich“ – und interessierte zunächst keinen. Erst 2004, als „Schnappi“ Teil einer „Die Sendung mit der Maus“-Compilation wurde, ohne jemals in der Sendung gespielt worden zu sein, hat irgendjemand das Lied mit dem einprägsamen Refrain „Schni-Schna-Schnappi, Schnappi Schnappi schnapp“ ins Internet gestellt. Illegal und ohne Kenntnis von Gruttmann und ihrem Label Universal, versteht sich.

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Das Leben von Iris und Joy Gruttmann änderte sich schlagartig, als sie im August 2004 aus dem Familienurlaub zurückkamen. „Iris, guck mal im Internet nach, da passiert gerade etwas mit deinem Schnappi“, erinnert sich Gruttmann heute, 15 Jahre später, an die Begrüßungsworte aus der „Die Sendung mit der Maus“-Redaktion, die etliche Anrufe von Hörern und Zuschauern bekommen hatte, die dachten, „Schnappi“ sei ein Lied aus „Die Sendung mit der Maus“: „Ich fand den Song plötzlich in über 6.000 Foren wieder. Es gab Remixe quer durch die Genres, von Techno über Ballermann bis Hardrock und Heavy Metal. Es gab sogar ein Video vom Wacken Open Air, wo Rocker mit Bierdosen und Tattoos immer in den Umbaupausen „Schnappi“ grölten. ‚Das kann doch nicht wahr sein!‘, dachte ich. Dann ging es los.“

Schnappi, wie jeder das kleine Krokodil kennt und wahlweise liebt oder hasst
Schnappi, wie jeder das kleine Krokodil kennt und wahlweise liebt oder hasst

In Windeseile mussten eine Figur, ein Konzept und ein Plan her. Das Babykrokodil Schnappi mit den großen Augen, kleinen Zähnchen und der Locke auf dem Kopf, wie wir es bis heute kennen, wurde von Jürgen Haas gezeichnet. Rolf Moser, Geschäftsführer von Bavaria Media, übernahm die Vermarktung und Lizenzverträge. Die Single erschien bei Universal offiziell an Joy Gruttmanns neunten Geburtstag – über vier Jahre, nachdem sie das Lied einsang und entsprechend größer geworden war. Zu diesem Zeitpunkt kannte das süße Liedchen bereits jeder. „Die Leute liebten oder hassten Schnappi“, weiß Iris Gruttmann und merkte bald, dass sie wegen der Vielzahl an Anfragen und Aufgaben wohl einen Projektmanager brauchte. „Ich musste das Schnappi-Album produzieren, Interviews geben, Presse- und Medientermine wahrnehmen, zu Fernsehauftritten mit Joy & Schnappi reisen und so weiter. Darüber hinaus hatte ich täglich bis zu 100 Anrufe und E-Mails mit Anfragen zu Merchandising, Lizenz- und Markenrechten und von etlichen Musikverlagen oder Leuten, die fragten, ob sie eine Version mit Noten für den Spielmannszug haben könnten…“. So kam Peter Burtz ins Spiel.

Von Heavy Metal über Comedy zum Kinderlied

Der ehemalige Steeler-Sänger Peter Burtz war nicht nur Erfinder der „Gerd-Show“ – er managte von Ende 2004 bis Anfang 2006 auch „Schnappi, das kleine Krokodil“
Der ehemalige Steeler-Sänger Peter Burtz war nicht nur Erfinder der „Gerd-Show“ – er managte von Ende 2004 bis Anfang 2006 auch „Schnappi, das kleine Krokodil“

Peter Burtz‘ Vita wies ihn schon damals als Mann vom Fach aus: Burtz war „Metal Hammer“-Mitgründer und früherer Chefredakteur, Sänger bei Steeler und in den Neunzigern A&R-Director bei EMI, wo er unter anderem Paradise Lost und Fury In The Slaughterhouse unter Vertrag nahm, später auch Guildo Horn, die Beastie Boys und Helge Schneiders „Katzeklo“. Aus dieser Zeit kannten sich Burtz und Songschreiberin Gruttmann. „Er wollte sich nicht anbiedern, hatte aber Lust, dabei zu sein“, sagt sie. 1999 erfand Burtz mit Stimmenimitator Elmar Brandt das erfolgreiche Comedy-Radioformat „Die Gerd-Show“, mit dem er unter dem Namen „Schri-Schra-Schrödi“ 2005 auch Schnappi parodieren würde. Außerdem arbeitete Burtz als Produzent und Autor verschiedener Künstler wie Toto & Harry, Gaby Köster, Rötger Feldmanns Werner, Hans Werner Olm und Bodo Bach.

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Am Telefon erinnert sich Burtz, der heute in Köln als Künstlermanager arbeitet, an die Anfänge des „Schnappi“-Projekts: „Ich bekam den Tipp, dass es da so ein lustiges Kinderlied gäbe, das vielleicht was für unseren Schröder wäre. Schnappi dümpelte damals noch ohne Hype im Internet herum. Ich fand das Lied wirklich gut und habe nachgesehen, wer die Nummer verlegt. Und siehe da: Die Autorin Iris Gruttmann kannte ich noch von der EMI. Dort brachte sie mal eine von Dieter Falk produzierte Solosingle heraus. Ich rief sie an und fragte, ob sie sähe, dass wir mit der ‚Gerd-Show‘ etwas daraus machen“. So wurde Burtz Schnappis Manager.

https://www.youtube.com/watch?v=gUnURw_Ln7c

Der größte Teil seines neuen Jobs bestand darin, damit umzugehen, dass das Projekt ein Kind an der Front hatte. Joys Familie und ihm war es ein wichtiges Anliegen, dass sie nicht verheizt und dass die Arbeit nie zu viel werde. Fernsehtermine und Auslandspromo wurden deshalb nur sehr überschaubar wahrgenommen. Auf den Tonträgern war nicht sie, sondern Comiczeichnungen des Krokodils zu sehen. Auch die Entscheidung, Joy keine Solo-Auftritte zu buchen, sondern das Krokodil als sogenannten Walk Act und eigentliche Hauptfigur an ihre Seite zu stellen, fiel demnach zum Schutz des Kindes – und zur Gewährleistung der Show: Als Joy vor einem „Wetten, dass..?“-Auftritt krank wurde, trat Schnappi kurzerhand alleine auf.

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One-Hit-Wonder mit Ansage

Dass „Schnappi“ ein One-Hit-Wonder werden würde – die zweite Single „Das Lama von Yokohama“ schaffte es immerhin noch in die Top 10 – war unter allen Beteiligten ebenfalls ausgemachte Sache. Bei Playbackauftritten bewegte die mittlerweile Neunjährige ihre Lippen zu der Stimme, die sie als Vierjährige hatte. „Ein Album und ein Weihnachtsalbum, mehr nicht, so war es von Anfang an besprochen“, sagt Burtz. Auch soll stets klar gewesen sein, dass Schnappi nicht mit einem anderen Kind nachbesetzt würde.

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Wie erklärte sich Autorin Iris Gruttmann den plötzlichen Erfolg? „Wir haben wohl so ziemlich den letzten Zeitpunkt erwischt, als noch Singles, richtige CDs verkauft wurden. Die türmten sich im Elektrofachmarkt bis fast unter die Decke.“ Der Text sei einfach und originell und die Melodie ein Ohrwurm gewesen, dazu kam die „niedliche“ Stimme Joys, die das Lied voller Inbrunst gesungen und das Lied somit einfach stimmig und authentisch gemacht habe. Wohl deshalb habe man damit offenbar „die Zielgruppe getroffen, die es eigentlich nicht gibt: 0-99.“ Trotzdem war es für Joy und Iris Gruttmann unbegreiflich, dass „Schnappi“ sogar in Neuseeland in der deutschen Original-Version auf Platz 1 in den Charts stand und „wir weltweit ca. 15 Platinauszeichnungen und ich weiß nicht, wie viele Goldene erhielten. Das war schon sehr lustig.“

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Und wie erklärte die heute 55-jährige Redaktionsassistentin ihrer Nichte, was da gerade passierte? „Mir war von vornherein klar: Das ist ein Kinderlied. Ein totaler Ausbrecher im Popbusiness. Als wir gerade auf Platz 1 der Charts und die Medien ständig auf unserer Matte standen, sagte ich zu Joy: ‚Pass auf, die rollen uns jetzt alle den roten Teppich aus, weil Schnappi so in Hit ist. Sobald wir nicht mehr in den Charts stehen, interessiert sich auch keiner mehr für Schnappi und uns. Dann darfst du aber nicht traurig sein.‘ Und Joy fragte mich: ‚Wieso soll ich denn dann traurig sein?’“

Joy Gruttmann: „Ich habe nur positive Erinnerungen an die Schnappi-Zeit“

Traurig ist Joy Gruttmann wegen Schnappi tatsächlich nie gewesen. Das einzige, was die in Gelsenkirchen geborene Kindersängerin bereue, sei ein Interview, dass sie der BILD-Zeitung 2011 gab. Dort wurde sie unter anderem damit zitiert, dass Schnappi ihre Kindheit gefressen habe – eine Aussage, die aus dem Kontext gerissen worden sei und die sie so nie gesagt und gemeint habe. Im Gegenteil: „Meine Familie hat immer die Hand darüber gehalten, so dass mein Privatleben nicht unter Schnappi leidet. Ich war nach wie vor ein ausgeglichenes Kind, war auf zahlreichen Kindergeburtstagen und habe nach der Schule wie jedes andere Kind gespielt“, sagt uns die heute 23-Jährige im Interview, das hier in voller Länge nachzulesen ist. Nur einen einzigen Schultag habe sie verpasst und mit ihren Mitschülern auch keine Probleme bekommen: „Am Anfang fanden sie es spannend, ich wurde plötzlich nach Autogrammkarten gefragt und ob ich sie nicht in der Pause verteilen könnte. Habe ich zu Beginn auch fleißig gemacht. Irgendwann wurde mir das zu blöd, weil ich ja auch lieber spielen wollte. So normalisierte sich die Situation schnell wieder.“

Sie sang vor 15 Jahren Schnappi: Joy Gruttmann heißt heute eigentlich Joy Ludorf, ist 23 Jahre alt und studiert Innenarchitektur
Sie sang vor 15 Jahren Schnappi: Joy Gruttmann ist 23 Jahre alt und studiert Innenarchitektur

Woran sich Joy Gruttmann neben ihrem ECHO-Gewinn besonders gerne zurückerinnert? „Reisen, andere Künstler treffen, Autogrammkarten sammeln und in Hotels schlafen – das waren echte Highlights!“, sagt sie, die Autogramme von zum Beispiel Scooter, Sarah Connor und den No Angels hat sie heute noch. Blöde Begegnungen habe es keine gegeben: „Eigentlich waren alle supernett. Nena besonders: Ich hatte damals oft meine Freundin dabei als Unterstützung. Nena hat sich bei ‚Top Of The Pops‘ mit uns unter den Tisch gesetzt und Kakao getrunken. Bei der ECHO-Verleihung wiederum gab es einen Tresen mit Getränken. Ich mochte alkoholfreien Piña Colada so gerne. Hinter der Bar hat man mich aber nicht gesehen, ich war zu klein. Peter Fox war damals mit Seeed dort, sah mich und bestellte mir einen Drink. Das war total süß.“ Auch DJ Bobo sei immer nett gewesen: „Der hatte mich damals noch zu einem Konzert eingeladen und uns eine Führung durchs Bühnenbild gegeben. Mit dem Ende von Schnappi endeten solche Momente aber auch.“

Joy Gruttmann im Jahr 2019
Joy Gruttmann im Jahr 2019

Nach dem Abitur 2014 machte Joy Gruttmann eine Tischlerlehre, heute studiert sie Innenarchitektur in Köln. Erkannt wird sie auf der Straße nur in Ausnahmefällen, zuletzt nach ihrem Auftritt in Luke Mockridges TV-Sendung „LUKE! Die 2000er und ich“, ihren Kommilitonen gegenüber macht sie aber keinen Hehl aus ihrer Vergangenheit als Kinderstar. Musik macht sie noch immer – mehr als ein Hobby soll aber aktuell nicht daraus werden. „Früher habe ich immer im Scherz gesagt: Wenn Avicii oder David Guetta sich melden, würde ich nicht nein sagen! Ich bin mit vielen DJs befreundet, manche würden gerne was mit mir machen. Ich habe aber eine sehr eigene Stimme, die so gar nicht in die kommerzielle EDM reinpasst, die gerade angesagt ist. Wenn sich mir eine neue Chance auf eine Musikkarriere bietet, dann soll das auch so sein. Ich werde nichts in die Wege leiten, das passiert entweder aus Zufall oder nicht. Ich mache mich da nicht verrückt.“

Was aus Schnappi selbst wurde – und was daraus wieder werden kann

Schnappi selbst hängt seit Jahren in Köln-Bickendorf ab, weiß Peter Burtz. Im Lager einer Firma, die professionell das Geschäft mit Walk Acts betreibt, irgendwo neben Käpt’n Blaubär, Biene Maja und der Maus: „Ich glaube, ich habe da auch noch einen Schröder und eine Merkel auf Lager. Die habe ich lange nicht benutzt.“

Ein Comeback von Schnappi gilt übrigens nicht als ausgeschlossen: Iris Gruttmann hat sich 2018 die Markenrechte zurückerworben und ist nun deren alleinige Inhaberin. „Schnappi“ wird laut ihrer Aussage weltweit noch immer bis zu 30-Millionen Mal pro Quartal gestreamt, Potential sei weiterhin da. Ein Remake von „Schnappi“ mit einem anderen Kind auf der Bühne soll es zwar nicht geben, sagt Gruttmann: „Das war in der Kombination mit Joy einzigartig und soll es auch bleiben. Aber ich kann mir durchaus Geschichten, Trickfilme und neue Lieder rund um ‚Schnappi & seine Freunde‘ vorstellen. Damit befasse ich mich bald.“

https://www.youtube.com/watch?v=IPN3to67xjg

„Schnappi und seine Freunde“ – Album im Stream:

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Andreas Rentz Getty Images
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