Popkolumne, Folge 143

Ohne diese Band kannst Du 2021 halt vergessen


„So, erstmal DJ volllabern und dann Pogo zu Haddaway“: Diese Spezial-Ausgabe unserer Popwoche widmet sich der Entdeckung des scheidenden Jahres. Das hier ist Bremen, das ist die grelle Meme-Punk-Sensation auf dem Label von KitschKrieg – all eyes auf Team Scheiße. Lest unter anderem das allererste Interview mit einer der pointiertesten Band überhaupt.

Oft möchte man meinen, die willenlose Gunst der Popkritiker*innen regne wie der Strahl einer Gießkanne auf die mediokre Welt der Produktkultur herab. Und man selber so: „Wie bitte, Spiegel Online hat wieder seinen elenden ‚Bestseller‘-Sticker bereits auf die Erstauflage eines Buches pappen lassen? Ich glaube, ich ziehe mit meiner Familie endlich in ein Erdloch, träum‘ ich schon lange von!“

Wie alles begann

Leute, I feel you 500, aber möchte betonen, dass es trotzdem immer noch unfassbar geile Dinge zu entdecken gibt. Was soll man machen?! Da können die beflissenen Journofluencer so viele Filter über ihre Zimtkaffee-Postings mit hindrapiertem Vinyl-Scheiß (180 Gramm!) legen, wie sie wollen. Manche Sachen werden sie halt nie raffen.

Ich jedenfalls aber platze, wenn ich mich nicht gleich von der Kunde über die Band hier befreien kann. So elektrisch hat es sich höchstens noch angefühlt, als ich zum ersten Mal auf Pisse, Schnipo Schranke oder „Grauer Beton“ von Trettmann stieß, als ich, sorry!, einst mit in diese Hurrastimmung von Wandas „Bologna“ gestürzt bin oder als ich mit ihrem Immergut-Auftritt von einer zur anderen Sekunde dann doch The Screenshots kapiert hatte. Sowas Intensives passiert dir halt nicht andauernd.

Umso schöner daher wenn es mal wieder soweit ist. Und vor allem für mich völlig aus dem Nichts (Bremen) kommt. Team Scheiße, so heißt die Band, um die es hier nun gehen wird.

Was wir bisher (nicht) wissen

Nun, das kann man ziemlich schnell überblicken. Einfach mal googlen: Neben den greedy Links, die einem das Album mit Titel ICH HAB DIR BLUMEN VON DER TANKE MITGEBRACHT (JETZT WIRD GEKÜSST) verkaufen wollen, findet sich kaum etwas Substantielles über jenes rätselhafte Team Scheiße. Immerhin eine Art Feature bei den Universalist*innen von „Diffus“ – doch darin redet die Band nur Quatsch.

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Mir liegt keine Platteninfo vor, der Instagram-Account ist kein Jahr alt, nicht mal ein einziges Bandfoto scheint es zu geben.
Verbrieft ist dagegen, dass es sich um ein Signing des Labels SoulForce (und damit KitschKrieg) handelt. Dieser Umstand allerdings stellt weit mehr Fragen, als dass er welche beantworten würde. Was macht eine minimalistische Punkband mit Meme-Ästhetik bei jenem Soundkollektiv, das (nicht nur) via Trettmann und in Tracks verwendeter Soundsignaturen die letzten Jahre fame geworden ist?

Spoiler: Selbst die Band weiß das nicht so genau. Lange Zeit hielten es die vier Freunde (soweit bin ich mit meiner Recherche mittlerweile) für möglich, dass diese KitschKrieg-Offerte nur ein grausamer Prank sein könnte.

Doch letztlich wurde alles wahr. Team Scheiße finden sich mit ihrem Debüt-Album als musikalisches Kuriosum in einem Label-Rooster wieder, das nun wirklich nichts mit ihrem Sound zu tun zu haben scheint. Die Zusammenführung von Band und Label scheint wie Team Scheiße selbst vor allem erstmal ein Coup zu sein. Also „eine gewagte und meist unerwartet durchgeführte erfolgreiche Unternehmung“ (Quelle: Lexikon).

Was wir hören wollen

Lange Jahre bewarb das mittlerweile eingestellte Kulturmagazin „Spex“ eine seiner 80er-Jahre-Archiv-Ausgaben mit folgendem Verweis: „Madonnas first appearance in der Weltpresse“. Könnte das auch hinsichtlich dieser Kolumne und Team Scheiße gelingen? Geil wäre es zumindest.

Dafür aber dürfte der bloße Hinweis darauf, wie pointiert, unterhaltsam und krass Platte und Band sind, kaum reichen. Denn das ist streng genommen gar nicht mehr so ein großes Geheimnis: Immerhin stellte das Release-Konzert im Lagerhaus in Bremen letzten Monat zwar das allererste Team-Scheiße-Konzert dar, war aber dennoch restlos ausverkauft. Ziemlich furioser Auftakt einer Band, wenn man mich fragt.

Um also „Diffus“ (Grüße!) und andere hochaktive Blitzlichtluder mit Punkaffinität abzuhängen, muss diese Kolumne hier irgendwie das erste Interview mit der Band aufgestellt kriegen.

Team Scheiße – unsere größten Erfolge

Ich hatte großen Respekt (lies: Schiss) vor dem Zoom-Talk mit Team Scheiße. Würden mir superoriginelle Nerds mit ausgeschalteten Kameras einfach nur Meta-Witze um die Ohren hauen? Einem solchen Spaß-Gegockel sitzt man bei Bands, die mit uneigentlicher Sprache spielen, schnell auf.

Doch was in der Kunst mitunter hilarious sein mag, ist es in Interviews selten. Ich hasse Spaß-Talks von Bands, die sich auf nichts festlegen lassen wollen und sich mit Scherzen überbieten, als wären sie Farin-Urlaub-Zombies.

Um das journalistische Ergebnis sorgte ich mich dabei am allerwenigsten, man kann – unter uns – jeden Text noch immer irgendwie retten, nein, ich sorgte mich, dass meine Begeisterung für Team Scheiße leiden würde, sollten sie sich hinter einem typenmäßigen Witzgemackere verstecken.

Vier Fenster voller Leidenschaft

Team Scheiße – first appearance in der Weltpresse

Doch nichts dergleichen geschah, einfach starke, schräge Typen mit Herz, ich bin verknallter denn je.

ICH HAB DIR BLUMEN VON DER TANKE MITGEBRACHT (JETZT WIRD GEKÜSST) ist die Platte des Jahres, kein Scheiß. Diese Mischung aus Fun und Wahn besitzt soviel Wahrhaftigkeit und so eine geil dahingewichste Soundästhetik, dass alle anderen kongenialen Pop-Minimalisten nervös werden. Zu so einer Meisterschaft hat es diese Form von Meme-Punk vorher noch nicht gebracht. Jedes Stück ein Treffer.

Das komplette Interview würde die Kolumne sprengen und wird an anderer Stelle erscheinen, hier aber nun lassen wir Team Scheiße ein paar ihrer Songs kommentieren. Die leisten eh bessere Überzeugungsarbeit als jedes weitere Wort.

Es sprechen zu uns Hannes, Timo, Simon. Ersterer konzipiert die Arrangements der Songs (und ist auch noch aktiv bei Mercedes Jens und Burnout Ostwest), daraufhin schreibt Sänger Timo die Texte und diesen Sound mischt dann Simon (zusätzlich bei der Band Schutt) zusammen. Nicht im Gespräch anwesend allerdings die wichtigste Person der Band: Thomas, der Bassist.

Alle leben in dem kompakten Stadtstaat Bremen, nur Timo nicht, der ist der Liebe wegen (#romanticpunk) nach Erfurt gezogen.

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Team Scheiße – „Erfurt“

Hast Du diesen Umzug aus Liebesgründen nach Erfurt eigentlich schon bereut?

TIMO: Also das mit der Liebe habe ich natürlich nicht bereut. Aber hier ist halt nicht dasselbe Pflaster. Nicht nur allein von den Zahlen her… also bezogen auf Inzidenz wie AfD-Stimmen, hier herrscht allgemein auch ein anderer Vibe.

Was meinst Du damit?

TIMO: Sowas wie Rassismus-gelten-lassen, würde ich es nennen. Hier passieren Sachen in Straßenbahnen, die kenne ich nicht aus Bremen. Dort wäre ich mir sicher, wenn irgendein Wichser in der Bahn was Diskriminierendes bringt, dann stehe ich auf, geh dazwischen und wüsste: Die Bahn ist hinter mir. Hier stehst du auf und musst fürchten, die Leute sind im Zweifelsfall nicht auf meiner Seite. Das heißt nicht, dass es da nicht auch gute Leute gibt – im Gegenteil. Trotzdem wundert es nicht, dass hier Übergriffe passieren, die auch durch die Presse gehen und bundesweit sind alle dann entsetzt und fragen sich: „Das ist Erfurt?“ Ja, Dicker, das IST Erfurt.

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Team Scheiße – „Karstadtdetektiv“

Dieser Song existiert wie noch ein paar andere bereits seit einiger Zeit im Netz und dürfte sicher dazu beigetragen haben, dass KitschKrieg auf Euch aufmerksam wurde. Dennoch ist die Kluft zwischen Band und Label groß. Hattet Ihr eigentlich je Zweifel an der Echtheit von deren Angebot gehabt?

HANNES: Ja, auch noch Monate nachdem wir schon an der Platte saßen, waren wir uns eigentlich immer noch nicht sicher.

TIMO: Wir haben uns einfach verhalten wie Rehkitze im Scheinwerferlicht.

SIMON: Ich verstehe das bis heute auch nicht so wirklich. Man muss sich mal deren Spotify-Diskographie ansehen mit diesen ganzen Schwarz/Weiß-Alben und wir pitchen ihnen dann unser buntes Froschcover und die so: „Ja, geil!“ Aber toll natürlich. Die haben von Anfang an gesagt, macht euer Ding und so blieb das auch.

TIMO: Hätte natürlich alles auch in die Hose gehen können, weil unsere Energie vorher einfach eine andere war. Es war alles immer bloß freies Ballern – und auf einmal arbeitest du an den Songs und da sitzt dir im übertragenen Sinne plötzlich ein Label auf der Schulter und sagt dir „ich bin auch da“… Das hat schon was verändert, aber uns ist es zum Glück gelungen, das auszublenden. Was natürlich auch an denen lag, denn als sie sagten „wir mischen uns nicht ein“ meinten sie auch „wir mischen uns nicht ein“.

Bei so einem Act wie Eurem wären sie auch schlecht beraten gewesen, hätten sie gesagt: Okay, aber jetzt macht noch mal eine Dub-Version, spielt den Refrain zweimal öfter oder macht hier eine Rückung am Schluss.

TIMO: Oder holt Euch doch noch ein Nena-Feature! Nein, so lief es eben nicht.

Habt Ihr Euer Label denn überhaupt mal treffen können in Zeiten von Corona?

TIMO: Schwierig. Man schreibt tausend Mails hin und her, alle wohnen woanders, wir in Erfurt und Bremen, die in Berlin und Hamburg. Irgendwann war klar, eine große Begegnung wird vorerst einfach nicht passieren. Ich bin allerdings einmal in den Zug gestiegen und habe gesagt: „Fuck, Alter, ich will die jetzt mal treffen.“ Man muss sich doch einmal in die Augen gesehen haben – und es war dann richtig toll, straight up.

Durch KitschKrieg habt Ihr auch den Vermerk BMG auf Eurer Platte. Ihr seid also eine echte Majorband.

TIMO: Ja, deren Strukturen sind major-isch aufgestellt. Das waren dann auch die Dinge, über die wir intern lange gesprochen haben: Wollen wir diesen Move machen als Band? Das hat uns echt schlaflose Nächte gekostet. Denn das ist keine einfache Entscheidung, schließlich ist sowas die Büchse der Pandora, was danach passiert, weiß kein Mensch. Vielleicht passiert auch gar nichts und dann sind wir am Ende enttäuscht, weil wir denken, „hätte, hätte, hätte!“ Oder es passiert irgendwas, was wir nicht mehr kontrollieren können. Ich meine, unsere Videos kommen plötzlich raus bei einem Kanal, der hat 250.000 Abonnent*innen. Das beschäftigt einen schon – genau wie die Tatsache, dass das eine HipHop-Crew ist. Denn damit stehen wir in einer sehr kurzen Kette neben manch einem Rap-Artist, mit dem wir nichts zu schaffen haben wollen [spielt an auf die umstrittenen Featurings der letzten Trettmann-Platte, zu denen vor allem GZUZ von 187 Straßenbande zählt, Anm.]. Insofern war das nichts, was wir uns leicht gemacht hätten, wir haben viel abgewogen.

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Team Scheiße – „Rein ins Loch“

SIMON: Die emotionale Resonanz, die mich schon zu diesem Song erreicht hat, ist wirklich überraschend. Wie viele Leute mir dazu schon ihre eigene Geschichte erzählt haben.

Team Scheiße – „Frank“

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TIMO: Diese Musik resoniert mit mir. Die Texte, die Themen denke ich mir nicht aus, weil sie lustig sind. Es gibt kein „meta“ darin. So viele schlechte Witze wurde auch schon im Punk erzählt: „Haha, Titten!“ „Haha, Saufen!“. Soll man da selbst auch noch einen Witz übers Kacken draufsetzen? Ich meine, wir heißen schon Team Scheiße – damit ist echt genug. Die Texte sind auch keine Suche, sondern sind das, was ich in mir trage und das wird verstärkt durch die Musik. Was rauskommt, ist dann aggressiv, aber eben auch humorvoll. Am Ende haben wir doch nix außer Humor, um nicht an dem Mist im Draußen kaputtzugehen. Man muss natürlich nicht alles mit einem Witz auflösen, manches ist halt nicht lustig, aber auf dieser Platte ist immer ein Augenzwinkern dabei – und sei es bei den verfickten geklauten Waffen der Bundeswehr in dem Stück „Frank“.

ICH HABE DIR BLUMEN VON DER TANKE MITGEBRACHT (JETZT WIRD GEKÜSST) ist erscheinen bei SoulForce Records.

Noch mehr von Team Scheiße hier
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Und nun zu etwas völlig anderem

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Space Force
Früher habe ich mich gefreut wie ein Pferd, wenn ich eine gute Serie entdeckte, die bereits ein paar Staffeln alt war. Konnte man sich gleich richtig reinsetzen, Vorhänge zu und los. Heute lebe ich allerdings ohnehin im Dunkeln und es wird von den Streamingdiensten derart viel in Reihe produziert, dass man kaum noch Bock entwickelt für eine vielteilige Erzählung, die bereits mehrere Staffeln ohne die eigene Anwesenheit versendet hat. Einfach zuviel Ex-und-Hopp-Serien unterwegs in diesen Zeiten. Insofern schön (für mich) bei „Space Force“ gleich zu Beginn einzusteigen. Die zehn 35-minütigen Folgen der ersten Staffel kann man schaffen ohne gesellschaftliche Einbußen.

Steve Carell spielt in der Show den Leiter einer neuen Sparte der US-Army: Space Force, eine für Konflikte im Weltall erschaffene Unit. Carells Counterpart ist Wissenschaftler und wird kongenial verkörpert von John Malkovich. Kurzweilig as fuck, wie wir jungen Leute sagen und hier gelingt auch der Brückenschlag zwischen dem Humor einer Sitcom mit dem seriellen Erzählen einer wahnwitzigen Story. Dazu lässt „Space Force“ Platz für sein Ensemble, das ähnlich stark und vielseitig ist wie das von Serien wie „30 Rock“ und „Modern Family“. So bekommt man interessante Figurenentwicklung ohne dass dadurch das Erzähltempo verlorengeht, was einfach wahnsinnig selten ist. Thank me later, jetzt aber erstmal Anderthalbliterplastikflasche bullit öffnen und los.

Tiere streicheln Menschen
„Wir bringen den anderen auch nach all den Jahren noch zum Lachen – wenn wir von unseren Wünschen und Träumen erzählen.“ Das Berliner Comedy-Duo Sven van Thom und Martin „Gotti“ Gottschild bewirbt sein neues Album ZWEI ENKEL AUF ERDEN mit einem Adventskalender. Die Schokolade ist vermutlich selbst eingeschmolzen aus Resten von Fangeschenken und dieser Miami-Vice-Look des Produkts wurde ergänzt um die Anmut eines Posters aus „Mädchen“ oder „Bravo Girl“. Im Begleitschreiben von Annett von LOOB Music steht: „Ich weiß, das haben Tokio Hotel schon vor 15 Jahren gemacht – aber ist nicht Old School das neue New School?“

Das ist mir zu hoch. Aber Kalender und CD sind echt schön.

Wir kiffen (Taylor’s Version) – Paulas Popwoche im Überblick

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

Linus Volkmann
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