Der Tod ist ein Trick: Wie die Künstler 2016 den Tod auskonterten


Bowie und Prince gingen. Cohen zockte noch einmal und folgte ihnen. Und Nick Cave trauerte. Der Tod ist seit je ein Protagonist des Pop. Im Jahr 2016 drängte er sich auf – und wurde von den Besten ausgekontert.

„Der Tod ist ein Trick“, sang Jochen Distelmeyer im Refrain von „Strobohobo“, zu hören auf der Blumfeld-LP VERBOTENE FRÜCHTE. Zehn Jahre ist der Song schon alt, er erschien im Jahr 2006: Deutschland im Sommermärchen. Disney kauft Pixar. Heute sind wir schlauer. Die WM war gekauft, und auch Pixar macht inzwischen zu viele Sequels. Und der Tod ist ein Arsch. Keine hundert Tage lagen zwischen den Nachrichten von David Bowie und Prince (und gerade einmal 13 Tage waren es zwischen Bowie und Lemmy, den es schon Ende 2015 dahingerafft hatte).

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Die Meldung vom Tod des Thin White Duke erreichte uns an einem tristen Montagmorgen im Winter auf nüchternen Magen, noch vor dem Frühstück. Den Tod von Prince tickerten die Onlinedienste an einem frühen Donnerstagabend, in diesen müden Korridor zwischen letztem Arbeitsschritt und Feierabend. Die Welt, das war auch dem „heute-journal“ klar, hatte zwei Genies verloren. Alle hielten wir uns an die wenigen Menschen, die nahe an Bowie und Prince dran waren. Nicht von dieser Welt, lautete das Urteil; nicht mehr auf dieser Welt, lautete die Nachricht. Ein Scheiß, das alles!

Hoffnung bekommt, wer noch einmal genauer bei Blumfeld nachhört. Dieses „Strobohobo“ ist ein flott gereimter Dada-Song im Boogierhythmus, aber der Songwriter Distelmeyer versteckt Bedeutungen gern in luftig verpackten Einschreiben, daher lohnt sich das genaue Hinhören: „Und mein Licht schillert gleißend und hell. Für alle und keinen und manchem zu schnell. Die Leute leben wie Schatten mit ihrer Sehnsucht nach Sinn. Der Tod ist ein Trick, und ich bin, was ich bin.“ Wäre es erlaubt, Distelmeyers Worte aus dem „Strobohobo“-Refrain David Bowie in den Mund zu legen? Warum nicht? Der Effekt ist erstaunlich.

Bowie hat sich zum Beispiel immer schon köstlich über die Sinnsehnsucht seiner Mitmenschen amüsiert. Dazu ein Interviewschnipsel aus dem „Spiegel“ von 1993: „Sie wollen also als Künstler ernst genommen werden?“, fragt das Nachrichtenmagazin. „Ich will genommen werden“, entgegnet Bowie. „Wie bitte?“, hakt der Interviewer nach. „Ich will genommen werden“, wiederholt Bowie. „Zweimal am Tag. Von meiner Frau.“ Hat sich der sterbenskranke David Bowie ausgemalt, wie die Welt auf seinen Tod reagieren würde? Vielleicht ist allein diese Frage grober Unfug, weil der Geist eines Sterbenskranken irgendwann nur noch eines möchte, nämlich dass der Körper doch überlebt – und alle Energien darauf fokussiert. Es gibt jedoch viele Anzeichen dafür, dass zum Ende des Seins die Eitelkeit nicht vergilbt, der Sinn für Kunst nicht verschwindet, der kritische Blick aufs eigene Werk nicht nachlässig wird.

How to disappear completely: Den Trick hatte Bowie drauf

Die britische Tageszeitung „The Guardian“ hat noch einmal die letzten eineinhalb Jahre des Lebens von David Bowie dokumentiert, das Feature trägt den Untertitel „Ein 18 Monate langer Ausbruch an Kreativität“. Bowie war ja nach seinem Herzinfarkt 2004 mehr oder weniger verschwunden. How to disappear completely: Den Trick hatte Bowie drauf. Mitte 2014 begann die Chemotherapie, Anfang 2015 muss er geahnt haben, dass er womöglich nicht überlebt. Sein kreativer Ausbruch hatte da bereits begonnen, es gab noch viel zu tun: Da war das finale Album, BLACKSTAR, ein weiteres musikalisches Abenteuer, Anti-Rock’n’-Roll im Geiste der Jazz- und HipHop-Avantgarde. Dazu noch das Musical „Lazarus“, eine Jukebox-Revue. Bowie ist bei den Proben dabei, schreibt Songs für das Werk, achtet auf die Storyline.

Die 50 besten Songs des Jahres 2016
Schließlich der Videodreh zur Single „Lazarus“. Bowie lässt das Johannesevangelium verfilmen, in dem Lazarus, noch in Grabtüchern eingewickelt, aufersteht. Aber es gibt im Clip eine zweite Ebene: Bowie spielt einen in Schwarz gekleideten eitlen Tänzer, dessen kantiges Gesicht am Ende geschockt aussieht, bevor er im Schrank verschwindet. Also im Grab. Das ist der vorletzte Akt. Es folgt noch das letzte Stück des Albums, die letzte Single „I Can’t Give Everything Away“. Eine Entschuldigung, eben nicht nur Künstler, sondern auch ein Mensch gewesen zu sein. Und damit sterblich. Der Tod als Trick. Bowie hat ihn glänzend ausgeführt. „Und mein Licht schillert gleißend und hell. Für alle und keinen und manchem zu schnell.“ Bowies Körper ist gestorben. Sein künstlerischer Geist jedoch hat triumphiert. Nie haben wir so viel David Bowie gehört wie 2016… Und ab dem 21. April eben auch Prince. Zwei dermaßen große Verluste innerhalb so kurzer Zeit: Die popkulturellen Blasen in den sozialen Netzwerken trübten sich ein, einige nahmen es der Jahreszahl persönlich übel, als wäre 2016 ein unfähiger ZDF-Talkshow-Moderator oder die stellvertretende Vorsitzende einer rechtspopulistischen Partei.

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Und es gingen ja noch ein paar wichtige Leute mehr: Roger Willemsens Tod traf besonders hart, weil man einen so scharfen Verstand vermissen wird – gerade in diesen Zeiten. Mit Peter Lustig und Manfred Krug verließen Menschen die Erde, mit denen wir aufgewachsen sind. Man darf aber nüchtern frei nach dem schwedischen Schriftsteller Per Olov Enquist festhalten: „Eines Tages müssen wir alle sterben. Aber an allen anderen Tagen werden wir leben.“ An vielen Tagen des Jahres starb keine Ikone. Die allermeisten haben 2016 überlebt, darunter auch Leute, die uns echte Sorgen bereiten, Morrissey, Peter Doherty und Marianne Faithfull zum Beispiel.