Interview

Wie „Stranger Things“-Star Finn Wolfhard mit seiner Band Calpurnia Nostalgiker glücklich macht


Finn Wolfhard ist gerade 16 und schon ein Weltstar. Als Mike Wheeler machte der Kanadier in der SciFi-80s-Pastiche-Serie „Stranger Things“ Nostalgiker wie Teenies happy. Doch dieser Finn Wolfhard hat nebenbei auch eine Band – und mit der tut er im Prinzip dasselbe.

Als es uns noch gut ging oder man im Prä-Internet-Zeitalter als Heranwachsender einfach auch noch nicht so gut Bescheid wusste über all das Übel in der Welt, leisteten wir uns Teenie-Stars wie die Backstreet Boys, ganz unironisch. Und drei Grinsebrüder mit Nachname Hanson wurden berühmt mit einem Song, der nicht mal einen gescheiten Titel hat. Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Welt wankt – Politik, Kultur, Moral, so ziemlich alles. Also braucht sie auch neue Teenie-Stars, solche wie die hier vielleicht: Calpurnia.

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Die vier Um-die-Sechszehnjährigen aus Vancouver sind ausgesprochen nette, wie es scheint nicht nur musikalisch gebildete Indie-Rocker, deren gemeinsame Band einen entscheidenden Vorteil hat, der auch ein großer Nachteil sein kann: Ihr Sänger Finn Wolfhard ist einer der derzeit begehrtesten Jungschauspieler überhaupt. Mit der Rolle des Mike Wheeler aus dem Netflix-Hit „Stranger Things“ – laut „Observer“ die populärste Streaming-Serie überhaupt – wurde Wolfhard zum Star. Er spielte den Jungen, der sich um Eleven, das auf der Flucht befindliche Mädchen mit den paranormalen Fähigkeiten, kümmert und sich schließlich in sie verliebt.

„Stranger Things“ und Calpurnia haben mehr gemein, als Finn Wolfhard lieb sein kann

Finn Wolfhard sagt, er würde die Serie und seine Musik gerne so weit wie möglich voneinander trennen. Doch es wird sich zeigen müssen, wie sehr er das in der öffentlichen Wahrnehmung tatsächlich beeinflussen kann. Zudem haben die mit Verweisen auf Film-Klassiker wie „Die Goonies“, „E.T.“, „Stand By Me“ und „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ gespickte Retro-Serie und diese kleine Indie-Band mehr gemein, als ihrem Frontmann lieb sein kann. Denn auch Calpurnia bietet ein Referenzen-Spektakel. Sie zitieren Nirvana als immens wichtigen Einfluss. Sie geben ihren Song „Louie“ bereitwillig als Hommage an Lou Reed zu erkennen (und wie sehr Finns Wuäh-Gesang darin nach Bob Dylan klingt, kann auch kein Zufall sein). Und live covern sie New Order, Weezer und: die Beatles!

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„Früher habe ich mich nicht so für Musik interessiert“, sagt Wolfhard, „aber als meine Mutter mir die Beatles vorspielte … Wahnsinn! Danach wollte ich nur noch Beatles: jeden Song, jedes Album, jeden Tag!“ Wie alt er da gewesen sei? Er sagt: „fünf“ – und verzieht keine Miene. Die Jungen sind heute einfach verdammt früh dran. Natürlich ist Finn auch längst zum Vinylsammler geworden, heute der offizielle Ausweis des wahren Musikliebhabers.

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Schlagzeuger Malcolm Craig lernte er bei einem Videodreh kennen. Gitarristin Ayla Tesler-Mabe stieß nach einem Sommercamp dazu. Und Bassist Jack Anderson unterstützte die drei Freunde bei einem selbst organisierten Wohltätigkeitsfestival und blieb. Seitdem sind sie eine „echte“ Band, sagen sie. Beim Jammen in Jugendzimmer und Garage entstand ihr unbekümmerter Slackersound, der an dessen prägende 90s-Acts erinnert, aber auch an Mac DeMarco. Den durften sie sogar schon auf Tour begleiten. Sie sind in den USA beim selben Label wie er untergekommen, Royal Mountain, wo vergangenen Sommer ihre erste EP „Scout“ erschienen ist.

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Und weil ihr Sänger eben schon ein Star ist, lässt sich für Calpurnia auch schon eine kleine Europa-Tour organisieren, durch Sehnsuchts-Städte wie London, Amsterdam, Paris – und: Berlin. Beim ersten Deutschlandkonzert im dortigen Kesselhaus – Fassungsvermögen: bis zu 1.000 Besucher – herrscht bald ein Gekreische wie bei den Beatles. Oder den Backstreet Boys. Es drängen sich allerdings nicht nur Teenies in der Menge. Erwachsene lieben „Stranger Things“, weil die Serie sie an ihre Film-Sozialisation erinnert –und sie freuen sich über Calpurnia, weil die Band sie an ihre Musik-Sozialisation erinnert.

Finn Wolfhard mit seinem Strokes-igem Wuschelkopf mimt Macker-Posen

Der Auftritt der vier Jugendlichen ist erfrischend – und lässt etwas von diesem alten Geist des Eine-Band-und-ein-paar-Riffs-sollten-doch-eigentlich-Reichen! wiederaufleben, der vor ein paar Jahren scheinbar endgültig begraben worden war. Letztes Lebenszeichen dieser Disziplin: die „The-Bands“ der Nullerjahre. Da waren die vier von Calpurnia gerade erst geboren. Finn Wolfhard mit seinem Strokes-igem Wuschelkopf mimt trotzdem ein paar der alten Macker-Posen, in dem Bewusstsein, dass alle Smartphones auf ihn zoomen.

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Dass sie immer nur ihn filmen und ankreischen, nehmen seine Kollegen recht gelassen. „Das überrascht uns ja nicht“, sagt Ayla Tesler-Mabe: „Auch wenn es einen manchmal dann doch etwas frustriert. Wir haben ja alle dafür hart gearbeitet, in dieser Band zu spielen.“ Und wie es aussieht, hat das Ayla besonders eifrig getan.

Sie machte auch vor Calpurnia schon auf sich aufmerksam, mit YouTube-Videos, in denen sie, zumeist mit geschlossenen Augen, atemberaubende Covers von Hendrix, Santana und Led Zeppelin spielt – millionenfach gestreamt. Ihr Talent als Leadgitarristin ist herausragend. Ein User namens „Taco Taco“ schrieb auf Facebook: „Das Mädchen wird Rückenprobleme davon bekommen, die Band tragen zu müssen“ (und erhielt dafür 2.546 Likes).

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Die Songs ihrer EP haben sie allesamt selbst geschrieben, doch das Material füllt eben noch keinen Konzertabend. Der Titel bezieht sich auf ihr Lieblingsbuch: „Wer die Nachtigall stört“. „Das Buch hat unsere Sicht auf unsere Gesellschaft verändert“, sagt Ayla – und sein Hauptthema, Rassismus, sei ja heute leider fast ebenso relevant wie 1960. Auch der Bandname stammt aus dem Literaturklassiker von Harper Lee: Calpurnia ist die dunkelhäutige Haushälterin, die die Familie zusammenhält.

„Ein sehr unterschätzter Charakter“, sagt Finn Wolfhard. Drummer Malcolm Craig sagt zu all dem nicht sehr viel, er hält es ohnehin lieber knapp, dafür aber trocken und humorvoll, und so schließt er diesen Exkurs mit dem Satz: „Also, ich hab’ das Buch gar nicht gelesen.“ Gelächter.

Calpurnias Mitglieder sind ausgestattet mit reichem kulturellen Kapital aus ihren Elternhäusern

Für dieses Gelächter ist man richtig dankbar, damit das hier nicht zu aufgeklärt und erwachsen wird. Oh ja, diese vier jungen Menschen haben sich Gedanken gemacht, offensichtlich ausgestattet mit reichem kulturellen Kapital aus ihren Elternhäusern. Auch wenn diese Band noch auf der Suche nach ihrer eigenen Identität ist, zitiert sie alte Helden eben nicht nur, sondern ersetzt Rocker-Machismus und bloßes Slackertum durch die Reflektiertheit einer Generation Z, die die Welt nicht den Erwachsenen überlassen will. Die haben es ja schließlich verkackt. Und da bleibt dann eben gerade nicht mehr so viel Platz für Hedonismus und Rausch.

„Ich möchte meine Plattform nutzen, um auf psychische Krankheiten aufmerksam zu machen“, erzählt Finn Wolfhard. Und Ayla Tesler-Mabe ergänzt: „Wir haben daheim bald einen Auftritt für einen Food Drive, weil es in Vancouver so viele Obdachlose gibt.“ Auch wenn man bald schon an eine tugendhafte Kirchtagskapelle denkt, darf daran nichts schlecht sein, wenn Calpurnia sagen: „Wir wollen für Musik stehen, die die fröhlichen Seiten des Menschseins feiert.“

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