Popkolumne, Folge 6

„Sex Education“, Tokio Hotel, Maroon 5 und Hass auf Tom Hanks: Die Popwoche auf einen Blick


Linus Volkmann präsentiert in seiner Popkolumne die High- und Lowlights der Woche. Welche Künstler, welche Songs, welche Serien lohnen sich – und was war sonst noch so los? Hier Folge 6. Mit dem Superbowl-Nachklapp, neuer Musik von Jessica Pratt und Vizediktator – sowie einem verhassten Klassiker, den nun wirklich keiner leiden kann.

LOGBUCH 2019, KALENDERWOCHE 6

In dieser Woche treffe ich auf Tokio Hotel. Die Gebrüder Kaulitz sind wach, in fashion, knuffig halt, haben im Interview viel zu erzählen – und es gibt sogar diesen einen Tick-Trick-und-Track-Moment, in dem Bill einen Satz seines Bruders beendet. Twin-Magic!

Ihr aktuelles Stück „Melancholic Paradise“ trägt etwas von der Funkyness von Daft Punks „Get Lucky“ mit sich herum. Ein wirklich erstaunlicher Umstand, der hoffentlich nicht überdeckt wird von der hysteriebeladenen Larger-Than-Life-Marke Tokio Hotel.

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P.S.: Aktuell verbreitet sich via Julian Stöckel ein Artikel darüber, dass Tokio Hotel nach Interviews nicht nur ihre O-Töne einsehen wollen vor der Veröffentlichung – sondern den ganzen Beitrag. Mir fällt es schwer, in die Empörung einzustimmen. Vielleicht ist es ja ein Stockholm-Syndrom, aber ich habe dafür Verständnis.

Denn worum geht’s hier wirklich? Um unzählige missgünstige Artikel, die sich für alles interessieren, aber sicher nicht die Musik. Die Texte dazu fliegen der Band täglich um die Ohren. Wer würde sich daher an ihrer Stelle – gerade bei Boulevard-Blättern – nicht auch alles Mögliche vorher zeigen lassen? Damit sie einen entweder nicht so leicht ficken können oder die Lust an ihren ohnehin schon vorgefertigten Hater-Storys verlieren.

GEBURTSTAG DER WOCHE: Dieter Bohlen (65 Jahre / 07.02.1954)

Dieser Mann hat Popmusik in Deutschland verändert. Und nicht zum Besseren, soviel steht schon mal fest. Herzlichen Glückwunsch, Dieter Bohlen!

Dieter Bohlen / Ersatzfoto

ALBUM DER WOCHE: Jessica Pratt – „Quiet Signs“ (City Slang / VÖ 08.02.2019)

Das dritte Album der Kalifornierin, so klingt Folk fürs nächste Jahrzehnt. Düster, durchgeschmort, elektrisch.

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>>> hier zur „offiziellen“ ME-Rezension von Jessica Pratts QUIET SIGNS

SINGLE DER WOCHE: Vizediktator – „Verlorene Zeit“ (VÖ 08.02.2019)

Es gibt so eine Art von tätowierten, bärtigen Turbostaat-Soundalikes, die kann ich nicht mehr ertragen. Ein ziemlicher Einschnitt, denn das betrifft aktuell ungefähr 90 Prozent aller Acts im hiesigen Gitarren-Punk-Game. Schade, ein ganzes Genre irgendwie am Arsch. Zum Glück habe ich Vizediktator entdeckt. In den Songs fühle ich mich gleich so zu Hause, da könnte man drin wohnen. Die Stimme und die Stimmung sind anders als im sonstigen und unfassbar breiten Mittelfeld dieses Sounds, nichts klingt hier auserzählt. Am 22.02. erscheint eine neue EP. Die Single dazu kommt jetzt bereits, heißt „Verlorene Zeit“ – und besitzt mehr Euphorie als eine geschüttelte Sektflasche, die man vorm Ausgehen öffnet.

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SERIE DER WOCHE: „SEX EDUCATION“ auf Netflix

https://www.youtube.com/watch?v=k7-mYIlBxXo

Die Vorschusslorbeeren glitzerten dermaßen verheißungsvoll im Social-Media-Trog, dass ich etwas enttäuscht bin, als ich mich mit einem schönen Glas Wein und Kerzenlicht der Serie hingebe. Mit einer Mischung aus „Friends“ und der ersten Staffel „Skins“ hätte man es zu tun, sagten sie. Wie geil wäre das denn?! Doch die kompakte, britische Serie (nur 10 Folgen) kann diesen Versprechen nicht standhalten.

Ein Problem von „Sex Education“ ist das Erzähltempo. Man hat nicht auf ein verknapptes 20-Minuten-Comedy-Format gesetzt, sondern auf die gemächliche, 45-minütige Folge – und so lässt sich „Sex Education“ einfach zu viel Zeit. Dem knallchargigen Figuren-Inventar hätte es besser gestanden, wenn es mehr Punchlines liefern dürfte, statt in die Breite schauspielern zu müssen.

Die witzigen Momente und die giggeligen Sex-Peinlichkeiten werden so immer wieder unterbrochen von allzu viel Leerlauf. Ohne den wäre die Serie ein Knaller, so ist sie es unter’m Strich nicht.

„Sex Education“ auf Netflix: Come for the Tits, Stay for the Nostalgia

AUFREGER DER WOCHE: Superbowl vs. Maroon 5

2019 Super Bowl Halftime Show: Diese Klischee-Parade wird der NFL um die Ohren fliegen

Wer sich diese Woche darüber empört hat, was für eine furchtbar öde Halbzeit-Show Maroon 5 beim Superbowl geliefert haben, der muss sich wirklich fragen lassen, was er denn um Himmels Willen erwartet hatte? Wenn ich zum Beispiel einen tollwütigen Biber einen Tag daheim einschließe, wundere ich mich ja auch nicht, wenn ich danach die Kaution für die Wohnung nicht mehr zurückbekomme.

Maroon 5 – das ist die Band, bei der man denkt, dass man einst vielleicht doch zu vorschnell geurteilt hat, als man Crazy Town für die wirklich peinlichste Weißbrot-Combo ever hielt.

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Was wurde eigentlich aus Crazy Town?

MEME DER WOCHE

DER VERHASSTE KLASSIKER: „Forrest Gump“ (1994)

Diese Rubrik bringt mich noch dazu, in weit verzweigten Gängen unter der Erde bei den Maulwürfen leben zu müssen. Soviel Empörung ergießt sich. Und dabei bin ich noch nicht mal bei Beatles und Oasis angekommen!

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Heute daher eine Folge zum Runterkommen. Es kann ja nicht immer Blut fließen, Freunde. Also werft die Messer ins Feuer, es geht heute bloß um einen Spielfilm – und zwar einen, der so sagenhaft doof ist, dass es keine zwei Meinungen gibt: „Forrest Gump“. Nichts zu danken.

Geguckt und gespuckt sei auf Robert Zemeckis‘ Trottel-ploitation-Film von 1994. Wie Mühlsteine der Verblödung baumeln ihm dabei sechs Oscars um den Hals. Oscar, diese goldene Himbeere in Phallusform. Wo jener großräumig verliehen wird, ist in den allermeisten Fällen prätentiös manipulative Nassmüll-Unterhaltung nicht weit.

Wer die ungefähre Tiefe des Films von damals noch mal ausloten will, möge sich nur an diese eine oft zitierte Szene erinnern. Tom Hanks auf der Parkbank und der Satz „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man kriegt.“ Darüber würde sich nicht mal Willy Nachdenklich auf „Nachdenkliche Sprüche mit Bilder“ lustig machen – in dem Film selbst ist das allerdings todernst gemeint.

Wer nun findet, dass man gegen verfilmten Pralinenkitsch doch bitteschön nichts haben soll, der muss einfach bis zum Ende schauen. Denn das zentrale Ärgernis ist die Aussage des Films: Die tollsten Dinger passieren unserem einfältigen Forrest wie von selbst – wie in einem schlechten Meme-Video wird er dank prä-digitaler Motion-Capture-Technik in historische Ereignisse als Bonus-Furunkel reingeschnitten. Seine High-School-Flamme indes, die wie Gump aus der Kleinstadthölle entflieht, bestraft der Film dafür, dass sie es im Gegensatz zu ihm mit Vorsatz tut. Der amerikanische Traum, dessen Erfüllung der Hauptfigur in den Schoß fällt, bleibt einer emanzipierten Frau verschlossen. Sich nicht für den retardierten Heini am Herd aufgespart zu haben, kommt sie teuer zu stehen. Einsam strandet sie am Schluss wieder auf Los – nicht ohne allerdings die Quittung für ihre freie Sexualität noch bekommen zu haben: Sie leidet unter einer AIDS-Infektion und muss sich eingestehen, dass ihr Streben nach mehr ein großer Fehler war.

Sie sehen: Hinter der klebrig sentimentalen Bonbon-Fassade hat sich dieser Film einen so riesigen Haufen konservativer Werte zusammengeschissen, dass es fast schon wieder witzig wäre. Aber auch nur fast.

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